Der Feuerstein
Orovalle. Als Erstes fällt mir der Gestank auf. Überall riecht es wie ein Abort, der mit nicht genügend Mulch gelöscht wird. Die Straßen sind eng und gewunden. Kleine Kaufmannsläden und Wohnungen türmen sich aufeinander, wie zufällig von Kindern aufgestapelte Bauklötzchen. Ich betrachte sie voller Misstrauen. Alles ist hoch und eng und dunkel, und ich verstehe nicht, wie Menschen in einer solchen Umgebung leben können, vor allem angesichts der Tatsache, dass der grenzenlose Himmel und die offene Wüste nur wenige Schritte entfernt liegen.
Unser Treck wird mit gleichgültigen Blicken bedacht. Eine Frau schlägt eine grob gewebte Decke aus, zwei Jungen
mit dreckigen Knien rennen in eine angrenzende Gasse, ein hochgewachsener Mann verkauft Kokosnüsse. Unsere Kutschen sind von der Reise mitgenommen und haben beim Kampf mit den Perditos deutliche Spuren davongetragen. Sie sehen sicherlich wenig königlich oder auch nur bemerkenswert aus. Ich bin auch froh darüber, denn ich fühle mich noch nicht bereit für neugierige Augen.
Der Boden steigt an, als wir weiter in die Stadt gelangen. Hier ragen die Gebäude höher auf, haben klare Linien und leuchtende Vorhänge. Gelegentlich fängt sich das Dämmerlicht auf richtigen Glasscheiben. Nachdem sich der Baustil verändert hat, erwarte ich nun doch, dass mein neues Zuhause reich ausgestattet und beeindruckend schön sein wird.
Aber das ist es nicht. Alejandros monströser Palast erhebt sich auf einem Hügel in der Mitte der Stadt, und es ist das hässlichste Bauwerk, das ich je gesehen habe. Die ganze Geschichte von Joya d’Arena spiegelt sich in einem Flickwerk aus Sandstein und Flussfelsen, aus Gips und Holz, gezeichnet von den kollektiven Bemühungen übereifriger Baumeister. Der Boden rund um die Mauern ist nackt und grau, im verblassenden Licht von den Steinen kaum zu unterscheiden. Das ganze Gebäude braucht dringend mehr Farbe und Licht. Vielleicht wird Alejandro mich ein paar Bougainvilleen pflanzen lassen.
Fackeln erhellen unseren Weg, als wir den Palast umrunden, um zu den Ställen zu gelangen. Immer wieder werden wir von Wachen aufgehalten, und ich höre Stimmen vom Anfang unseres Zuges, aber ich kann nicht verstehen, was gesprochen wird. Vielleicht hat sich Alejandro zu erkennen gegeben. Ich versuche mir vorzustellen, was er von mir erzählt.
Ich habe die wunderbarste, schönste Frau als meine Braut mitgebracht! Und die Dienstboten laufen los, um ein Fest und Blumen vorzubereiten und bei unserer Ankunft zu singen. Ich muss laut lachen. Seit meiner Hochzeit hege ich immer wieder solch alberne Gedanken.
Ximenas Finger umklammern mein Knie, und ich zucke zusammen. Es ist schon so dunkel, dass ich beinahe vergessen habe, dass sie mir direkt gegenübersitzt. Aber es bleibt mir erspart, mein Auflachen zu erklären, denn nun erscheint Alejandros Kopf im Fenster der Kutsche, von hinten von den Fackeln angestrahlt.
»Elisa!« Er strahlt wie ein kleiner Junge, der sein schönstes Spielzeug vorführen will. »Wir sind zu Hause.«
Zu Hause. Irgendwie gelingt es mir, zurückzulächeln.
»Ich habe meinem Seneschall erklärt, wir seien müde von der Reise und würden heute Abend niemanden mehr empfangen. Auch habe ich gesagt«, und jetzt wird sein Lächeln entschuldigend, »du seist ein ganz besonderer Gast, dem äußerst zuvorkommend begegnet werden soll. Lass mich also wissen, wenn dir irgendetwas nicht gefällt.«
Ein besonderer Gast. Ist das alles?
Aber dann nimmt er meine Hand, als ich aus der Kutsche steige. Und als ich aufsehe, um ihm zu danken, lässt er nicht los, sondern umfasst sie nur noch fester und sagt: »Ich führe dich jetzt in deine Gemächer.«
Ich nicke und schlucke angestrengt. Ximena steigt hinter mir aus.
Wir stehen in einem sandigen Kutschenhof, die Stallungen befinden sich zu unserer Linken. In der Dunkelheit verschwimmen die Einzelheiten, aber ich höre Pferde wiehern
und rieche den Dung, vermischt mit dem scharfen Geruch von frischem Heu. Rechts von uns hebt sich der monolithische Palast massiv vor dem Himmel ab. Meine Begleiter sind damit beschäftigt, die Kutschen zu entladen und die Packpferde von ihren Lasten zu befreien. Alle Anwesenden sind mir vertraut, und das erscheint mir seltsam. Wenn Papá und Alodia von einer Reise zurückkehren, kommen alle Bediensteten nach draußen, um sie zu begrüßen.
Eine Ankunft bei Nacht, keine Dienstboten, ein Seiteneingang, ein besonderer Gast.
Aus welchem Grund auch immer scheint
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