Der Feuerstein
an meinen Haarwurzeln ziehen. Mein Haar ist von schimmerndem Schwarz und fällt mir in Wellen bis zur Taille. Normalerweise flicht Ximena es mir zu zwei Zöpfen, einen über dem
anderen, weil es so üppig ist. Aneaxi hat immer gesagt, dass ich auch schöne Lippen und Augen hätte. Das stimmt natürlich nicht; meine Lippen sehen aus wie fette Schnecken, und meine Augen wirken wegen meiner granatapfeldicken Wangen viel zu klein. Aber es ist nett zu wissen, dass zumindest etwas an mir schön ist.
Cosmé kehrt mit einem Arm voller Kleider zurück. Sie breitet sie auf dem Bett aus, und sie sind so wundervoll, dass mir unwillkürlich der Atem stockt. So viele Farben, so viele Stoffe und Borten. Mit Glasperlen bestickte Blenden, juwelenbesetzte Mieder und feinste, elegante Spitze. Ich lasse meine Finger über den Rock eines Kleides gleiten. Er ist von sanft korallenroter Farbe, wie mein Baldachin, mit leichten Fransen am Saum. Aber alles ist winzig, gemacht für eine zierliche Frau wie Cosmé.
»… denn Königin Rosaura hatte ungefähr Eure Größe«, sagt sie gerade, »und deswegen dachte ich, dass diese hier Euch vielleicht passen würden.«
Natürlich tun sie das nicht. Sie sind so offensichtlich zu klein, dass ich der schlanken Dienerin einen beinahe fassungslosen Blick zuwerfe. Sie hat mich absichtlich beleidigt, und ich weiß nicht, wieso.
Ximenas Hand ruht auf meiner Schulter, und es gelingt mir mit knapper Not, nicht in Tränen auszubrechen. Ausdruckslos starre ich auf den gefliesten Boden, auf einen Lammfellteppich, der sich an einem Ende aufwirft. Leise raunt mir meine Kinderfrau ins Ohr: »Ich habe deine Bluse und deinen Rock letzte Nacht im Atrium gewaschen. Die Sachen sind fast trocken.«
Fast ersticke ich vor Erleichterung. »Vielen Dank.«
Cosmé führt uns ins Untergeschoss zu einem riesigen Speisesaal mit luftig geschwungener Decke. Licht strömt durch die hohen Buntglasfenster. Eine Gruppe von Edelleuten hat es sich auf Kissen bequem gemacht, zwischen sich einige Teller mit dampfenden Gerichten, und sie sehen bei unserem Eintreten mit mildem Interesse auf. Die Männer sind glatt rasiert, die Frauen geschnürt. Alle tragen leuchtende Farben und ausdruckslose Mienen. Niemand sagt ein Wort. Meinen Ehemann kann ich nirgendwo entdecken.
Eine Frau erhebt sich lächelnd, um uns zu begrüßen, und ich lächele dankbar zurück. Sie gleitet mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Ihre Haut ist beinahe goldfarben, die Augen braun wie schimmernder Honig unter schwarzen Wimpern. Sie leuchten geradezu in ihrem gebräunten Gesicht.
»Ihr seid doch sicher Alejandros besonderer Gast!«, ruft sie. Ihre Stimme ist so hell und hoch wie die eines Mädchens. Nur dünne Fältchen und leichte Spuren von Müdigkeit um ihre Augen lassen erkennen, dass sie tatsächlich älter ist als ich, vielleicht Ende zwanzig.
Ich nicke und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wünschte, der König wäre hier.
»Kommt, setzt Euch zu mir.« Sie fasst mich am Arm, und ich lasse mich willig von ihr führen. »Ich bin Condesa Ariña. Wenn Ihr etwas gegessen habt, werde ich Euch die anderen Anwesenden vorstellen.«
Ximena und ich nehmen an ihrem Tisch Platz. Die feuchten Rüschen meines Rocks kleben kalt an meinen Beinen. Es ist seltsam, dass mich die Condesa nicht nach meinem Namen gefragt hat und dass sie so vertraut von meinem Gatten spricht.
Sie füllt mir einen hölzernen Teller mit verschiedenen Speisen von den Platten, die vor uns auf dem Tisch stehen, und ich gebe mir größte Mühe, mein Interesse am Essen nicht zu deutlich erkennen zu lassen. Stattdessen betrachte ich die anderen, die in unserer Nähe sitzen; sie essen mit großer Anmut und wenden sofort den Blick ab, wenn ich sie ansehe. Der Saal ist in kaltem, steinernem Grau gehalten und riesig, viel zu groß für zwei Handvoll Leute. Ich vermisse die gemütliche Ziegelbauweise meines Zuhauses.
Condesa Ariña stellt mir den Teller auf den Schoß. »Bitte schön, Lady Elisa.« Also kennt sie meinen Namen bereits. Dabei habe ich niemandem außer Cosmé gesagt, dass ich so angesprochen werden möchte. Als ich zu dem mit Vorhängen verdeckten Durchgang hinüberblicke, durch den wir eingetreten sind, ist die Dienerin bereits nicht mehr zu sehen.
Doch als Erstes stürze ich mich auf das Essen. Zwar ist es ein wenig fade, aber doch wesentlich leckerer als alles, was wir während der Reise zur Verfügung hatten. Mit Genuss beiße ich in eine Blätterteigpastete, und mir kommt
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