Der Feuerstein
Geschwistern, Cousins, die verschwunden sind.
Vater Alentín tröstet eine junge Frau, stützt sie mit seinem guten Arm und hilft ihr den Hang hinauf. Sie kommen nahe genug, dass ich den blauen Fleck auf ihrer Stirn sehe, das eingerissene Ohrläppchen und die kahlen Stellen an ihrem Kopf, wo ihr das Haar mitsamt den Wurzeln ausgerissen wurde. Der Priester raunt ihr etwas zu, als sie an uns vorübergehen, und sie sieht mich überrascht an, dann schimmern Tränen der Hoffnung in ihren Augen.
»Ich bin Mara«, flüstert sie. »Vielen Dank, dass du gekommen bist.«
Ich sehe ihr nach, während sie mit Alentín zum Dorf hinuntersteigt. Ihr Kleid ist auf ihrem Rücken voller Grasflecken.
16
C osmé versorgt die Verwundeten und kümmert sich mit ihrer zupackenden, entschiedenen Art darum, dass alle mithelfen. Ich sitze zusammengekauert an der Wand der großen, halb offenen Höhle und kann den Blick nicht von dieser Szene abwenden. Viele Flüchtlinge tragen verkohlte Kleidung über verbranntem Fleisch. Einer der Männer, den die Pferde heraufgebracht haben, ist schon tot, als man ihn losbindet und auf den Boden bettet. Die anderen drei schlagen von Entzündungen und Fieber geschüttelt um sich. Ich muss an Aneaxis Bein denken, an den Geruch von faulem Fleisch, an die Wundränder, die rund um schwarze Flüssigkeit aufklafften, und ich kann mich nicht dazu überwinden, zu helfen oder überhaupt nur näher heranzutreten. Aber ich bleibe trotzdem hier, da es seltsam tröstlich ist, meiner früheren Zofe zuzusehen. Es hat etwas Vertrautes, wie sie die Kleidung aufschneidet und die Wunden säubert, wie sie Schnitte näht und Verbände wäscht. Ihr Gesicht ist dabei genauso unbewegt, ihre Handbewegungen genauso sicher und geschickt wie damals, als sie in meiner Suite stand und Vorhänge faltete.
Ich beneide Cosmé um diese Fähigkeit, sich nützlich zu machen.
In Brisadulce war ich die geheime, jungfräuliche Gattin des Königs, eine Besucherin aus einem fremden Land, ein Gast, der die Gemächer der früheren Königin zugewiesen bekommen hatte. Aber ich habe nie verstanden, welche Rolle mir dort zukam. Nun hat man mich wegen des Feuersteins durch die Wüste geschleppt, wo mich nun wohl ein großes Schicksal erwartet. Und dennoch hat sich nichts verändert. Ich kauere noch immer in meiner Ecke und wage es nicht zu handeln.
Genau wie Alejandro, wird mir plötzlich klar. Es wäre jetzt ein Leichtes, in eine Lähmung zu verfallen und mich von Schwäche und Unentschlossenheit überwältigen zu lassen.
Cosmés Locken fallen ihr ins Gesicht, als sie sich vorbeugt, um einem Mann das Blut vom Hals zu wischen. Ihr Haar ist ein wenig gewachsen und reicht inzwischen über ihre Schultern. Sie verlangt laut nach einem Stück Tuch. Ein winziger, barfüßiger Junge humpelt mit einer Krücke zu ihr hinüber und reicht ihr das Gewünschte. Cosmé nimmt den Stoff, um sich das Haar schnell zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden. Ich betrachte ihre zerzausten Locken, die schwarzen Strähnen, die verschwitzt über ihrem Ohr kleben, und ich bin mir sicher, dass sich Cosmé, so jung sie auch noch sein mag, in jeder Lage behaupten wird.
Mein Herz klopft, als ich aufstehe. Dann gehe ich zu ihr, den Blick nach vorn gerichtet, damit ich die Verwundeten nicht ansehen muss, zwischen denen ich mir vorsichtig den Weg bahne.
Entschlossen beiße ich die Zähne zusammen und versuche,
den Ekel und die Angst in meiner Brust in einen Stein zu verwandeln.
»Cosmé.«
Sie sieht nicht auf. »Ich habe viel zu tun. Wenn du etwas brauchst, wende dich an jemand anderen.«
Ich hole tief Luft. »Kann ich helfen?«
Sie wringt einen dreckigen Lappen über dem Boden aus und taucht ihn dann in den Eimer, der neben ihr steht. »Es gibt nichts, was du tun könntest. Geh und iss etwas.«
Der Impuls, genau das zu tun, ist stark. Aber dann sage ich: »Ich weiß, dass du mich hasst. Aber lass dich davon nicht verblenden.«
Ihr Kopf schnellt hoch.
»Komm, ich hole dir frisches Wasser«, fahre ich fort, bevor sie antworten kann.
Langsam wandert ihr Blick zu dem Eimer. Dann nickt sie. »Das wäre tatsächlich eine Hilfe. Hier.« Sie reicht mir das Gefäß. »Kippe ihn aber nicht in der Nähe unseres Trinkwassers aus.«
Der Eimer ist schwer, der Griff schneidet mir in die Finger, aber ich beeile mich, meinen Auftrag zu erfüllen – schließlich bin ich froh, dass ich etwas tun kann, auch ohne entzündetes Fleisch berühren zu müssen.
Den ganzen Vormittag über hole
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