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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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verbietet jegliche Hexerei.«
    Er lächelt. »Ah, kleine Prinzessin, Ihr müsst wissen, die Menschen waren nie dafür bestimmt, hier zu leben. Aber die Erste Welt verging, und Gott brachte uns mit seiner rechtschaffenen rechten Hand dennoch hierher.« Er beugt sich vor, die schwarzen Augen fest auf mich gerichtet. »Homers Afflatus spricht davon, dass unter der obersten Schicht dieser Welt Zauberkräfte verborgen sind, die verzweifelt danach streben, ans Licht zu gelangen. Um sie niederzuhalten, wählt Gott in jedem Jahrhundert einen Streiter, jemanden, der in der Lage ist, Magie mit Magie zu bekämpfen.«
    Er lehnt sich zurück und überkreuzt die Beine, während ich über mein mitternächtliches Treffen mit Vater Nicandro in der Klosterbibliothek nachdenke … , und er wurde wie ein Kalb zur Schlachtbank ins Reich der Hexerei geführt.

    »Invierne!«, stoße ich plötzlich hervor. »Das ist das Reich der Hexerei!«
    Er nickt. »Meine Nichte sagte mir, Ihr stammt aus Orovalle und seid eine Anhängerin der Vía-Reforma, die man über die Geschichte der Feuersteine in Unkenntnis gehalten hat.«
    Ich senke den Kopf und weiß nicht recht, ob ich mich dafür schämen soll oder nicht.
    »Närrische Kultisten«, zischt er. »Seine Majestät, mögen Sonnenfinken ihm süße Melodien ins Ohr flöten, handelte weise, als er Euch für sich stahl.«
    Für sich stahl. Während Alentín aufsteht, kommt mir der Gedanke, dass Alejandro unserer unvollzogenen Ehe möglicherweise nur zum Teil deswegen zugestimmt hat, weil ihm mein Vater Truppen versprach: Vielleicht brauchte auch er einen Retter.
    »Möchtet Ihr Euch meine Abschrift des Afflatus ausleihen?« , fragt Alentín.
    »Oh ja«, hauche ich. »Sehr gern.«
     
    Ich bekomme zwei Bienenwachskerzen – kostbare Güter, wie mir Vater Alentín sagt –, und man weist mir eine Lehmhütte zu, die einer viereckigen Schachtel gleicht. Nachdem ich mein Nachtkleid an einen Haken gehängt habe, rolle ich meine Decken auf dem hart gestampften Lehmboden aus und lege mich auf den Bauch, um den Afflatus zu lesen. Bei der Einleitung erschauere ich unwillkürlich, weiß ich doch, dass ich die Geschichte Gottes lese, und ich hoffe, dass ich auch etwas über mein eigenes Schicksal darin finden werde.

     
    Ich bin Homer der Steinmetz, von Gott erwählt, seinen Stein zu tragen. Den Familien, die dank Gottes rechtschaffener rechter Hand überlebten und nun am Rande des Sandes verstreut sind, entbiete ich meinen Gruß.
     
    Homer erzählt zunächst seine eigene Geschichte. Wie auch ich erhielt er seinen Feuerstein bei der Namensverleihung, als ein Lichtstrahl sich auf seinen Nabel richtete. Als er aufwuchs, fürchtete man ihn. Manchmal machte man sich auch über ihn lustig. Die Priester begannen, sich für den Jungen zu interessieren, denn sie spürten, dass eine seltsame Kraft von dem Stein ausging; eine Kraft, die sie dazu brachte, Hymnen zu singen oder zu beten oder manchmal auch nur laut zu lachen. Also brachten sie ihn ins Kloster und lehrten ihn die Lengua Classica in Wort und Schrift. Mit sechzehn gaben sie ihn bei einem Steinmetz in der Nähe in die Lehre.
    Eines Tages befeuerte er dort die Ziegelöfen, als Gott ihm eine Vision schickte und ihn hieß, sie Wort für Wort aufzuschreiben. Homer fiel bewusstlos gegen die Ofentür, und sein Arm wurde versengt, während Gott zu ihm sprach. Als er wieder zu sich kam, eilte er sofort zum Kloster. Sein linker Arm war verbrannt, und eitrige Flüssigkeit trat aus den Wunden hervor, aber er wollte sich nicht verbinden lassen, bevor er nicht an einem Schreibpult saß und Tinte, Federkiel und Pergament vor sich hatte.
    Die Narben trug er stolz sein ganzes Leben, aber ich frage mich, welcher Gott so etwas zulässt. Sicher hatte dieser Mann doch einen ganz besonderen Platz in Gottes Herz. Und dennoch musste er so leiden.
    Und er war nicht der Einzige. Einige Träger starben bei der
Erfüllung ihrer Aufgabe, viele konnten sie gar nicht vollenden. Ich frage mich, was schlimmer sein mag.
    Gerade will ich mit Homers Bericht der eigentlichen Vision beginnen, als jemand hinter mir in die Tür tritt. Ich drehe mich um.
    Dort steht Humberto mit großen Augen, seine Decken unter dem Arm. Er sieht jetzt schlanker aus als damals, als wir uns kennenlernten, denn genau wie bei mir hat die Wüste alles Wasser aus ihm herausgesaugt. Das Kerzenlicht betont die hohen Wangenknochen und die Schatten, die darunterliegen. Ich freue mich, dass er da ist.
    »Hallo,

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