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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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Großvater, Damiáns Sohn, gehörte zu den Männern, die an jenem Tag auf dem Bergkamm standen. Wenn er gestorben wäre, dann wären Cosmé und ich, mein Cousin Reynaldo, selbst Onkel Alentín … dann wäre keiner von uns heute hier.«
    Und plötzlich weiß ich, wieso Homer seine Verletzung hingenommen hat. Ich verstehe, wieso es besser ist, bei der Erfüllung der Aufgabe zu sterben, als sie gar nicht zu erfüllen. Viel, viel besser. Homer und Damián haben nie von ihren heroischen Taten profitiert, aber alle, die ihnen nachfolgten. Genauso mag ich nie die Früchte meiner eigenen Leistungen ernten, falls ich meine Aufgabe denn überhaupt je erfüllen sollte. Aber das spielt keine Rolle, denn als Gott seinen Stein in meinem Bauch verankerte, ging es niemals um mich.

     
    Am nächsten Tag lege ich den Afflatus beiseite und nehme lieber meinen alten Lieblingstext zur Hand, die Belleza Guerra. Jeder Absatz bringt mich auf neue Fragen. Ich pendele den ganzen Tag hin und her zwischen meiner geliehenen Abschrift und den Leuten, die bisher diesen Krieg überlebt haben.
    Vater Alentín sagt, die Krieger Inviernes seien nicht gut ausgebildet, dafür aber so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Sie strömen von den schneereichen Höhen der Sierra Sangre hinab und werden von Animagi angeführt, die Feueramulette schwingen. Zwar sterben fünf Invierne-Krieger für einen der unseren, aber es reicht trotzdem nicht. Sobald ein Animagus in den Kampf eingreift, müssen unsere Leute fliehen oder sterben.
    »Wie viele sind es genau?«, frage ich. »Lagert ihr Heer in der Nähe? Ist es marschbereit?«
    »Es gibt zwei Heere«, berichtet Vater Alentín. »Eines ist ungefähr ein paar Tagesritte entfernt. Ein zweites liegt weiter im Norden, einen Steinwurf von Conde Treviños Besitzungen.«
    »Zwei Heere. Weit voneinander entfernt.«
    Er nickt und reibt sich die Schulter an der Stelle, wo sein Arm fehlt.
    »Wie viele?«, hake ich noch einmal nach.
    »Mein Kind, es sind Tausende. Zehntausend mindestens, und ihre Zahl wächst mit jedem Tag.«
    Zwei riesige Heere. Selbst die vereinten Kräfte von Joya d’Arena und Orovalle sind damit nicht zu vergleichen. »Eines wird an der Wüste vorbei nach Süden ziehen«, überlege ich laut. »Das andere nach Norden, am Rand des Dschungels entlang. Sie werden aus entgegengesetzten Richtungen
auf Brisadulce und die Küstendörfer vorrücken. Wie eine große Zange.«
    Alentín beugt sich näher heran. »Das glaube ich auch. Aber ich bezweifle, dass Seine Majestät, mögen Orchideen nach seinem Hinscheiden erblühen, auf einen Zweifrontenkrieg vorbereitet ist.«
    »Ich fürchte, da habt Ihr recht.« Alejandro ist mit seiner mangelnden Entschlusskraft und der Weigerung, sich überhaupt für irgendeine Sache einzusetzen, auf gar nichts vorbereitet. Mein Blick gleitet über die verstümmelte Schulter des Priesters. Zögernd frage ich leise: »Würdet Ihr mir erzählen, wie Ihr Euren Arm verloren habt?« Die Frage kommt mir sehr unhöflich vor, aber ich muss alles in Erfahrung bringen, was mir vielleicht weiterhelfen kann.
    »Ein Pfeil hat meinen Arm kurz oberhalb des Ellenbogens zerschmettert. Ich brauchte mehrere Tage, um zu diesem Versteck zurückzukehren, und in dieser Zeit entzündete sich die Wunde. Kurz nach meiner Ankunft wurde ich ohnmächtig. Als ich wieder erwachte, war der Arm verschwunden.« Er zuckt mit den Schultern. »Ein Arm für ein Leben. Das ist kein schlechtes Geschäft.«
    »Also benutzen sie Pfeile.« Wie die Perditos im Dschungel. »Welche anderen Waffen haben sie?«
    »Über Waffen kann Euch Belén sicherlich mehr erzählen, mein Kind.«
    Ich bedanke mich und mache mich auf die Suche nach dem hochgewachsenen Jungen. Er hockt vor einer Ziegelhütte und schabt die Innenseite eines frisch abgezogenen Schaffells mit einer halbrunden Klinge ab, deren Griff sicher in seiner Hand ruht. Seit unserer Reise durch die Wüste haben
wir kaum miteinander gesprochen, und ich trete ein wenig zögernd zu ihm. Aber er begrüßt mich viel warmherziger, als ich erwartet hätte, und meine Frage scheint er außerdem sehr spannend zu finden.
    »Sie verwenden vor allem Pfeil und Bogen«, berichtet er. »Ihre Bogen sind wesentlich länger als unsere, mannshoch oder sogar noch länger. Sie schießen zwar nicht mit derselben Genauigkeit wie unsere Bogenschützen, aber ihre Pfeile haben eine viel größere Reichweite.«
    »Könnten wir ähnliche Waffen bauen?«
    »Nein.« Er sieht von dem Schaffell auf. »Dazu

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