Der Feuerstein
uns Hilfe zu schicken. Ja, am liebsten gäbe er uns auf. Seit dem letzten Krieg verfügt er nur noch über wenige Truppen, wisst Ihr, und wir haben ihm so viel Unannehmlichkeiten bereitet. Es ist schwer, uns von der anderen Seite der Wüste aus zu regieren, und wir haben wenig zu bieten, was für die Krone
von Wert ist. Unsere Schafe und Kühe sind allen anderen im ganzen Königreich überlegen, aber sie taugen nicht mehr viel, wenn man sie in einem Gewaltmarsch durch die Einöde getrieben hat. Er ist besser beraten, den geringeren Zehnten anzunehmen, den ihm die Küstendörfer bieten.« Ich nicke und erinnere mich an das, was ich bei Meister Geraldo gelernt habe. Joya d’Arenas größte Schwäche, hat mein alter Lehrer stets gesagt, ist die enorme Größe des Landes.
Ein Mädchen, sicher nicht älter als acht, tritt schüchtern mit einem Teller Dattelbällchen zu uns. Ich lehne dankend ab, ich bin schon satt, aber Alentín nimmt eins und steckt es sich in den Mund. Er kaut, während er weiterspricht. »Eins haben wir allerdings, und das ist Gold. Jedes Jahr spucken die Berge bei den Sturzfluten ein wenig davon aus, aber Seine Majestät, mögen seine Lenden zahlreiche Söhne hervorbringen, hat keine besonders große Leidenschaft für das edle Metall. Immerhin genügt diese Kleinigkeit aber doch, um sein Interesse an uns aufrechtzuerhalten. Eine hochgestellte Persönlichkeit an seinem Hof ließ uns vor einigen Jahren wissen, wenn in den Bergen schwere Kämpfe ausbrächen, würde er unser Land schlicht aufgeben und uns höchstens zu bedauernswerten Opfern erklären, mehr aber auch nicht.«
Oh, das würde er ganz sicher. Mein Herz schlägt hart, und ich erinnere mich, wie glücklich Alejandro war, als ich ihm zur Evakuierung der Dörfer riet. Damals dachte ich noch, dumm wie ich war, dass er sich über mich und meinen weisen Rat freute. Jetzt aber muss ich erkennen, dass er lediglich eine Entschuldigung dafür suchte, diese Menschen im Stich zu lassen. »Ihr wagt es also nicht, ihm zu sagen, dass die Sache des Bergvolks schon beinahe verloren ist.«
»So ist es. Nach allem, was man hört, ist er ein guter Mann, aber ein schwacher König. Er wählt stets den sichersten, einfachsten Weg, wenn er sich denn überhaupt für etwas entscheidet.«
Zwar schwingt viel enttäuschende Wahrheit in seinen Worten mit, aber ich bezweifle, dass Vater Alentín mir all das erzählen würde, wenn er wüsste, dass ich die Frau des Königs bin. »Also muss man ihn glauben machen, dass es noch Hoffnung gibt, damit er nicht jegliche Hilfe verweigert.«
»Ja.«
Aber der König wird keine Hilfe senden. Ich kann dem Priester nicht ins Gesicht sehen, denn ich muss daran denken, welche Rolle ich selbst gespielt habe. Kurz schließe ich die Augen und lasse die Quorumssitzung noch einmal in Gedanken vorüberziehen. Wenn ich damals schon gewusst hätte, was ich jetzt erfahren habe, wäre mein Rat dann anders ausgefallen? Hätte ich diese zerlumpten Waisen selbst gesehen, ihr Leid hautnah erfahren, hätte ich dann vielleicht doch eine Möglichkeit gefunden, den Krieg an einer so entlegenen Front zu rechtfertigen? Das ist schwer zu sagen.
»Vater Alentín, was genau erhofft ihr euch von mir?«
Er wischt sich den Mund mit dem Saum seines Oberkleids ab und rülpst zufrieden. »Wir hoffen natürlich, dass Ihr uns retten könnt. Seit fast zwanzig Jahren suchen wir nach dem Träger. In der letzten Zeit, als die Kämpfe immer heftiger wurden, haben wir Leute in alle Teile Joya d’Arenas ausgesandt, um ihn ausfindig zu machen.«
Zorn grollt wie eine Lawine in meiner Brust. Selbst hier, so weit von zu Hause entfernt, liegt mir die Aufgabe, zu der ich ausersehen wurde, wie ein Joch auf den Schultern. Mit
zusammengebissenen Zähnen frage ich: »Wie kann ich euch retten? Ich bin nur ein Mädchen. Ich esse zu viel. Ich hasse die Vorstellung, über etwas zu regieren. Es gibt nichts, was ich wirklich gut kann … obwohl, doch, ich kann ganz hübsch sticken. Soll ich Euch vielleicht einen schönen Wandbehang mit Siegesmotiven gestalten?« Am liebsten würde ich irgendetwas treten oder schlagen. Meine Augen wandern zu Cosmé, die in einiger Entfernung mit Belén spricht.
»Mein liebes Kind, Ihr habt etwas, worüber niemand von uns verfügt.«
Ich seufze. »Den Feuerstein.«
»Hexenkunst.«
»Was?« Hexenkunst, das ist ein so archaischer Begriff, wie man ihn nur in den klassischen Studien verwendet. »Nein, das stimmt nicht. Die Scriptura Sancta
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