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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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ich Wasser. Kaum haben die anderen gesehen, was ich tue, drücken auch sie mir ihre Eimer in die Hand. Ich kippe ihren stinkenden, bräunlichen, oft auch zähflüssigen Inhalt an der Sonnenseite des Berges aus und laufe dann schnell in die Höhlen, um die Eimer wieder zu füllen. Dabei kann ich kaum so viel Wasser herbeischaffen, wie gebraucht wird, obwohl
ich mich wirklich beeile. Als die letzte Wunde gesäubert und genäht und verbunden ist, brennen meine Schultern und meine Schenkel, und meine Finger spüre ich schon gar nicht mehr.
    Ich lasse mich an der Höhlenwand zu Boden sinken und schließe die Augen, während ich versuche, meine verkrampften Arme zu lockern.
    »Hoheit.«
    Als ich aufsehe, steht Cosmé mit einem Wasserschlauch vor mir und reicht mir einen Teller mit gedünsteter Forelle auf Gemüse. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. »Du hast den ganzen Tag nichts gegessen«, sagt sie.
    »Danke, Cosmé.« Ich nehme ihr den Teller ab.
    Sie wendet sich zum Gehen, zögert, sieht mich wieder an. »Ich hasse dich nicht.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll, also nicke ich nur zum Zeichen, dass ich sie gehört habe.
     
    Am Abend sitze ich im Schneidersitz in meiner Hütte, auf meinem Schoß Alentíns Abschrift von Homers Afflatus. Dieses Mal beschäftige ich mich intensiver mit dem Text, nehme ihn Satz für Satz auseinander, als säße ich in Meister Geraldos Studierzimmer und läse die Scriptura Sancta.
    Meine Kerze ist schon halb heruntergebrannt, als Humberto hereinkommt. Er grinst zu mir herüber, während er seine Decken vor der Tür ausbreitet.
    »Ich hätte gedacht, du würdest den Abend vielleicht lieber mit deinem Cousin verbringen«, sage ich, dabei freue ich mich sehr, ihn zu sehen.
    »Wir werden noch Zeit genug zum Reden haben. Er braucht
ohnehin Ruhe.« Humberto setzt sich und zieht sich seufzend die Stiefel aus. »Liest du schon wieder den Afflatus?«
    »Ja.« Ich bewege die Schultern hin und her, um die Muskeln zu lockern. »Ich hoffe, dass ich ein paar neue Hinweise finde.«
    Er rutscht auf meine Decke herüber, dann sieht er mir ins Gesicht. »Du scheinst … du bist … ich meine …«
    Ich verstehe nicht, was ihn so durcheinanderbringt. »Humberto?«
    Er schüttelt den Kopf. »Deine Augen. Sie sind wunderschön.«
    Sofort laufe ich puterrot an, aber eine Antwort bleibt mir erspart, weil er hinzufügt: »Eigentlich wollte ich sagen, du siehst besorgt aus. Verängstigt.«
    Jetzt starre ich ihn verblüfft an. »Natürlich bin ich verängstigt. Ich wurde entführt, schon vergessen? Man hat mich quer durch die Wüste geschleppt in der vagen Hoffnung, dass ich euch alle retten könnte. Ich möchte ja helfen. Trotz allem, was geschehen ist, will ich das wirklich. Aber ich weiß nicht, wie. Es gab nur einen anderen Träger aus Orovalle, Hitzedar den Bogenschützen. Er tötete vierunddreißig Männer, darunter einen Animagus. Mit seinen Taten bewahrte er mein Land. In meinem ganzen Leben habe ich erst einen Menschen im Kampf getötet, und da wusste ich eigentlich gar nicht recht, was ich tat …«
    »Was? Du hast jemanden getötet?«
    »Ja. Und ich möchte nicht darüber reden. Es geht mir um etwas ganz anderes. Ich bin keine Kriegerin. Und deswegen habe ich auch keine Ahnung, wie ich euch retten könnte.« Ich stütze mein Gesicht in die Hände. »Hitzedar hat Glück
gehabt. Er konnte seine Aufgabe erfüllen. Vielen anderen war das nicht vergönnt, sie sind gestorben.« Nun sehe ich ihn endlich an, und es fällt mir schwer, die Tränen zurückzudrängen. »Humberto, ich will nicht sterben.«
    Er legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an seine Brust. »Ich will auch nicht, dass du stirbst.« Während er mir über den Rücken streichelt, lasse ich den Tränen freien Lauf. »Du bist viel tapferer, als du glaubst, Prinzessin. Und klug. Ich glaube schon, dass du uns helfen kannst. Davon bin ich überzeugt.«
    »Woher willst du das wissen?«, schluchze ich in sein Hemd.
    »Hast du schon einmal von Damián dem Schäfer gehört?«
    »Nein.« Aber der Name kommt mir bekannt vor.
    »Er war mein Ururgroßvater. Er trug den Feuerstein.«
    Überrascht blicke ich auf, und jetzt erinnere ich mich auch, wo mir dieser Damián schon einmal begegnet ist. »Ich habe den Namen gelesen. In der Liste von Trägern, die im Kloster zu Brisadulce geführt wird.«
    Sein Lächeln verrät Stolz. »Damián war ein Mann, der hart arbeitete. Er lebte viele Tagesreisen von hier entfernt in einem Dorf,

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