Der Feuerthron
geschehen. Aber das konnte sie dem Geheimen Staatsrat wohl kaum erklären. Der Mann würde siegewiss nicht ernst nehmen. Oder falls er es doch tat, schleppte er sie wahrscheinlich mit und lieferte sie den Magiern am Hof aus, und die würden sie mit ihren Hexentränken quälen, um auch noch den letzten Gedanken aus ihr herauszuquetschen.
Hemor klopfte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden. »Herr Torrix und die Wahrsagerin Merala sind gewiss nicht über diese Brücke gegangen. Ihnen stand eine königliche Barke zur Verfügung.«
Mera schluckte vor Überraschung Luft, denn diese Auskunft deckte sich mit ihrem Traumgebilde. Ihre Mutter rang derweil hilflos die Hände. »Vielleicht haben sie sich sofort in Torrix’ Gemächer zurückgezogen, um sich dort zu beraten.«
»Dort hat die Zweite Hexe sie bereits gesucht, aber nichts entdeckt. Ihre Majestät ist in großer Sorge.«
»Wir aber auch! Immerhin handelt es sich um meine Großmutter!«, rief Mera dazwischen.
Hemor ging nicht auf ihre Bemerkung ein. »Wenn die beiden nicht hier sind, muss ich die gesamte Küste absuchen lassen. Ich bete zur Großen Ilyna, dass sie nicht entführt worden sind.« Dann drehte er sich um und gab den Bewaffneten ein paar Anweisungen.
»Ich fürchte, sie sind tatsächlich entführt worden«, flüsterte Mera Girdhan zu. »Ich habe es gesehen!«
Meraneh hatte ihre Worte ebenfalls vernommen und packte sie am Arm. »Sei still! Sonst glaubt der Kerl dort, wir wüssten mehr darüber. Außerdem kannst du nichts gesehen haben, denn du warst die ganze Zeit hier im Haus.«
»Ich habe im Traum gesehen, wie sie überfallen worden sind«, begehrte Mera halblaut auf.
Ihre Mutter winkte ärgerlich ab. »Ich habe auch schon einmal geträumt, die Königin zu sein, und wollte beim Aufwachen nach meinen Dienerinnen rufen. Doch als ich die Augen aufgeschlagen habe, lag ich hier in meinem Bett.«
»Aber ich ...«, begann Mera, doch ihre Mutter schlug ihr auf den Mund. »Schluss mit dem Unsinn!«
Dann wandte sie sich an den Staatsrat. »Bitte tut alles, um meine Mutter zu finden!«
Für einen Augenblick wirkte Hemor, als würde er von der Last seiner Verantwortung erdrückt, nickte dann aber selbstgefällig. »Natürlich werde ich sie finden! Ich lasse sofort die Jagdhunde der Königin holen. Denen entgeht keine Spur!«
Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den »Blauen Fisch« ohne die geringste Höflichkeitsbezeugung. Die vier Gardisten folgten ihm auf dem Fuß.
Mera war beleidigt, weil ihre Mutter so wenig auf ihre Worte gegeben hatte, erinnerte sich dann aber an Timpo, den sie allein in ihrer Kammer zurückgelassen hatte, und rannte rasch los, um nach dem Tierchen zu schauen. Als sie ihr Zimmer erreichte, fand sie die Tür halb offen stehen und glaubte schon, das Fellknäuel habe sich aus dem Staub gemacht. Doch als sie eintrat, regte sich etwas unter ihrer Bettdecke. Sie griff danach und hielt Timpo in der Hand.
Das Tierchen schien eben erst erwacht zu sein, denn es fiepte leise und stupste Mera mit seiner Schnauze an.
»Hast du Hunger?«, fragte sie und trug Timpo in die Schlafkammer ihrer Großmutter. Während sie seinen Napf füllte und sich so neben sein Futter stellte, dass sie ihn sofort packen konnte, wenn er ausbüxen wollte, steckte Girdhan den Kopf zur Tür herein.
»Deine Großmutter und der Magier sind ganz bestimmt entführt worden! Ich habe im Traum einen großen Schatten gesehen, der die beiden verschlungen hat.«
»Es war ein Schiff«, wies Mera ihn zurecht.
»Das würde die Angst des Staatsrats erklären. Er denkt, die Gurrländer hätten ihre Hand dabei im Spiel. Darum war er so garstig gegen mich.«
Mera nickte nachdenklich. Offensichtlich nahm Graf Hemor an, ein gurrländisches Kommandounternehmen habe den oberstenHofmagier und Berater der Königin gekidnappt. Und ohne Torrix war es beinahe unmöglich, einen Angriff des gurrländischen Kaisers und seiner Flotte abzuwehren.
Mera versuchte, sich an alles zu erinnern, was sie über das ferne Reich im Südwesten der bekannten Welt wusste. Viel war es nicht, und das meiste unterschied sich nicht von den Sagen und Märchen, die ihre Großmutter erzählt hatte. Vor tausend Jahren soll Gurrland alle Inseln bis auf die der geheimnisvollen Runier besetzt und die Menschen in Sklaverei gehalten haben. Damals herrschte ein schrecklicher Dämon über die Gurrländer und damit auch über den größten Teil des Archipels.
Den Bewohnern der Insel Runia, die noch
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