Der Feuerthron
Angst, und sie kreischte bei jeder Bewegung der Bäume und Büsche auf.
Kip packte die Runierin an den Füßen, während Mera die Schultern anhob, und gemeinsam schleppten sie sie über einen waldlosen Ausläufer der Hügel zur Küste. Dort wartete bereits Hekendialondilans Boot auf sie, das von den Gedanken seiner Herrin zu dieser Stelle gerufen worden war.
Zum Glück reagierte es auf die gesendeten Befehle seiner Herrin und fuhr von selbst in die gewünschte Richtung. Kip, der von sich behauptete, jedes Schiff beherrschen zu können, auf das man ihn stellte, starrte das fremdartige Boot ungläubig an. Es gab keineSeile und Rollen, um das Segel aufzuziehen. Auch die gewohnte Ruderpinne fehlte, ebenso eine Kajüte. Stattdessen gab es ein Zelt, das sich von selbst aufstellte und ein Bett freigab, auf das sie Hekendialondilan legten. Ihnen schien es ein Wunder, dass das Mädchen noch lebte, denn der Pfeildorn steckte tief in seinem Brustkorb.
Mera überlegte, wie sie ihrer Retterin helfen konnte. Immerhin war ihre Großmutter eine starke Heilerin gewesen, und sie selbst hatte es geschafft, zwei solcher Dornen aus sich hinauswachsen zu lassen. Doch das hatte sie instinktiv gemacht, und so hatte sie keine Ahnung, wie sie diese Gabe bei Hekendialondilan anwenden konnte.
Die Runi spürte ihre Unsicherheit und schüttelte in Gedanken den Kopf über die Ahnungslosigkeit der blauen Hexe. »Lege deine Hand auf meine Schultern und stell dir vor, wie dieser Dorn zurückweicht und das verletzte Fleisch um ihn herum wieder gesund wird.«
Die Anweisung war kurz und enthielt keinen Hinweis auf all jene Schwierigkeiten, die eine magische Heilung behindern konnten. Doch Hekendialondilan war klar, dass sie die Auffassungsgabe des Menschenmädchens nicht überfordern durfte. Als Mera ihr die Hände auf die Schultern legte und ihre Heilerfähigkeiten instinktiv auf sie übergehen ließ, lenkte sie die magischen Ströme selbst und war erleichtert, dass sie stark genug waren, mit ihrer Wunde fertig zu werden.
Dennoch dauerte es mehrere Stunden, in denen das Boot wie von Geisterhand gelenkt die Wellen durchschnitt, bis der Pfeildorn mit einem metallisch klingenden Laut zu Boden fiel und neue, noch rosa schimmernde Haut die Wundstelle verschloss. Obwohl Hekendialondilan sich nun besser fühlte, war sie noch immer sehr schwach und hätte am liebsten geschlafen, um frische Kräfte zu sammeln. Doch noch waren sie nicht am Ziel, und sie wollte nicht, dass Sianderilneh zu früh erfuhr, dass sie ihre Gefangenen entdeckt und befreit hatte.
9
Schon am Morgen des Tages, an dem die junge Runi Mera befreite, spürte ein anderes Mitglied dieses Volkes eine Unruhe in sich, wie sie sie seit Jahrhunderten nicht mehr empfunden hatte. Die Frau nannte sich Hekerenandil und war Hekendialondilans Mutter. Sie empfing beunruhigende Schwingungen, die der Wind ihr zutrug; doch sie konnte sie nicht entschlüsseln. Schließlich setzte sie sich an den Stamm ihres Baumes, dessen weitverzweigtes Ast- und Wurzelwerk ihr ebenfalls magische Informationen zutrug, und konzentrierte sich ganz auf den Einsatz ihrer wahrnehmenden Sinne. Obwohl sie auf diese Weise weit blicken konnte und ihr ganzes Können anwandte, endete ihr magisches Tasten im Nichts. Nur das Gefühl, ihre Tochter sei in Gefahr, wurde immer stärker.
Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass Hekendialondilan etwas passieren sollte. Das Kind war sehr selbstständig für sein Alter, und es bestand auch kein Anlass zur Sorge, wenn das Mädchen allein mit seinem Boot das Meer befuhr und die Inseln aufsuchte, die Runia wie ein Ring umgaben. Denn dabei befand es sich stets im Schutz eines günstigen Zaubers. Hekendialondilan vermochte das Seegebiet von Runia nicht zu verlassen, dafür sorgten die Befehle, die sie dem Boot ihrer Tochter gegeben hatte. Noch war ihre Kleine nicht so stark oder so geübt, diesen Zauber zu umgehen oder aufzulösen.
Dennoch empfand Hekerenandil Angst um ihr Kind, und sie beschloss, zur Küste zu gehen und das Meer zu befragen, wo Hekendialondilan sich gerade aufhielt. Von dort aus konnte sie notfalls auch dem Boot den Befehl senden, zu seinem Liegeplatz zurückzukehren.
Die Runi verließ ihr Baumhaus, in dem sie mit ihrer Tochter lebte, und blickte hinaus auf den weiß blühenden Wald mit seinen silbernen Blättern. Büsche mit jenen Beeren, die Hekendialondilanbesonders gerne aß, standen in lockeren Gruppen um den mächtigen Stamm herum. Die Äste des Baumes hatten
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