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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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von dem mächtigen Thiere entführt wurde.
    Der Wolf entfloh mit großen Sprüngen, da ihn die leichte Wiege mit dem Kinde das Fortkommen nicht besonders erschwerte. Findling mußte wohl hundert Schritte weit laufen, ehe er ihn einholte.
    Der Wolf hielt an, ließ die Wiege los und wendete sich gegen seinen Verfolger.
    Dieser erwartete ihn festen Fußes und ausgestreckten Armes, und als das Thier ihm an den Hals springen wollte, bohrte er ihm das Messer tief in die Seite. Trotzdem biß ihn der Wolf noch so heftig in den Arm, daß er halb bewußtlos vor Schmerz im Schnee zusammenbrach.
    Zum Glück ließ sich, ehe ihm die Sinne völlig schwanden, ein lautes Bellen vernehmen.
    Das kam von Birk, der sich jetzt auf den Wolf stürzte und diesen zur Flucht nöthigte.
    Gleich darauf erschienen Martin Mac Carthy und Murdock, die in der Entfernung von über zwei Meilen mit Sim, Martine und Kitty zusammengetroffen waren.
    Die kleine Jenny war gerettet und ihre Mutter trug sie in den Armen zurück nach dem Hause.
    Findling, dessen Wunde Murdock vorläufig etwas geschlossen hatte, wurde nach der Farm zurückgeführt und im Zimmer der Großmutter in sein Bett gebracht.
    Sobald er wieder ganz bei Sinnen war, fragte er ängstlich:
    »Was ist mit Jenny geworden?
    – Sie ist hier, antwortete Kitty, hier… und lebend… das danken wir Dir, Du braves Kind!
    – Ach, ich möchte sie so gern umarmen….«
    Und als er die Kleine unter seinem Kusse hatte lächeln sehen, da fielen ihm vor Mattigkeit die Augen zu.
Fünfzehntes Capitel.
Ein schlechtes Jahr.
    Die Verletzung Findlings erwies sich nicht als gefährlich, obwohl er dadurch viel Blut verloren hatte. Wären die drei andern aber nur eine Minute später gekommen, so hätten sie nur eine Leiche gefunden und würde Kitty ihr Kind nie wiedergesehen haben.
    Natürlich wurde Findling in den wenigen Tagen bis zu seiner Wiederherstellung aufs sorgfältigste gepflegt. Mehr als je empfand es da der arme Knabe, daß er, eine Waise von unbekannter Herkunft, jetzt eine Familie hatte.
    Wie dankbar nahm er alle Liebe und Güte hin, zumal wenn er an die vielen glücklichen Tage dachte, die er in der Farm schon verlebt hatte. Um deren Zahl zu wissen, brauchte er ja nur die Kieselsteine zu zählen, wovon ihm Martin jeden Abend einen gegeben hatte, doch mit ganz besondrer Freude sah er den Stein in seiner Kruke verschwinden, den er am Abend nach dem Vorkommnisse mit dem Wolf empfing.
    Mit dem Neujahr setzte der Winter nochmals in alter Strenge ein und es machten sich jetzt gewisse Vorsichtsmaßregeln nöthig. Aus der Umgebung der Farm wurde das Erscheinen starker Banden von Wölfen gemeldet, deren Zähnen die morschen Wände des Hauses kaum widerstanden hätten. Martin und seine Söhne mußten wiederholt auf die hungernden Bestien Feuer geben. So war es in der ganzen Grafschaft, wo das Land in den langen Nächten von erschreckendem Geheul widerhallte.
    Dieses Jahr brachte einen jener schlimmen Winter, die über das nördliche Europa die eisigschneidenden Winde des Polarbeckens zu entfesseln scheinen. Immer blieb eine nördliche Luftströmung vorherrschend, und diese führt ja bekanntlich die schlimmste Kälte mit sich. Leider drohten diese Verhältnisse sich lange auszudehnen, wie die algide Periode bei von Fieber verzehrten Kranken. Und wenn die Kranke die Erde ist, die sich verzieht, wie die Lippen eines Sterbenden, die unter dem Einfluß der Kälte zu Stein verhärtet, dann möchte man glauben, daß ihre Fruchtbarkeit für immer erlöschen müsse, wie es für jene todten Weltkörper gilt, die schon so zahlreich durch den Himmelsraum irren.
    Die Befürchtungen des Farmers und seiner Familie waren bei der ungewöhnlichen Härte des Winters also gewiß gerechtfertigt. Durch den Verkauf eines Theils seiner Schafe hatte Martin indeß das Geld für Abgaben und Pachtzins herbeischaffen können, und als sich der Middleman zu Weihnachten einstellte, erhielt er unverkürzt, was ihm zukam. Das verwunderte den Mann ein wenig, denn in den meisten Farmen blieb er unbefriedigt und hatte den gerichtlichen Weg zur Austreibung der Pächter einschlagen müssen. Martin Mac Carthy wußte freilich auch nicht, wie er im nächsten Jahre seinen Verpflichtungen werde nachkommen können, wenn es ihm an dem nöthigen Saatgetreide fehlte.
    Hierzu kam auch noch weiteres Unglück. Infolge der bis auf dreißig Grad unter Null herabsinkenden Kälte gingen in den Ställen vier Pferde und fünf Kühe ein, da es unmöglich gewesen

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