Der Findling
Vorräthe sich immer weiter erschöpfen.
Gegen Ende des Novembers verschlimmerte sich die Sache noch. Auf Schneestürme folgte sehr strenge Kälte. Häufig sank die Temperatur auf neunzehn Centigrade unter Null herab.
Die von erhärtetem Schneepanzer bedeckte Farm glich mehr den im Polargebiete verstreuten grönländischen Hütten. Die dicke Schneelage hielt wenigstens die Kaminwärme im Innern etwas zurück; wenn man sich aber hinausbegab in die zum Glück jetzt stille Atmosphäre, deren Molecüle zu Eiskörnchen geworden zu sein schienen, da mußte man einigermaßen vorsichtig sein. Zu dieser Zeit mußten Martin Mac Carthy und Murdock, um den in wenigen Wochen fälligen Pachtzins zu beschaffen, nun doch einen Theil ihres Viehbestandes, darunter eine Anzahl Schafe, veräußern. Sie durften auch gar nicht zögern, um das Geld noch von den Händlern in Tralee zu erhalten.
Es war jetzt der 15. December. Da der Wagen nur sehr beschwerlich hätte fortkommen können, beschlossen der Pächter und sein Sohn, den Weg nach der Stadt zu Fuß zurückzulegen. Vierundzwanzig englische Meilen (zu 1609 Meter) bei zwanzig Grad Kälte zu überwinden, das war natürlich keine so leichte Aufgabe. Voraussichtlich würden sie zwei oder drei Tage abwesend sein.
Nicht ohne Unruhe sah man sie mit dem Frührothe die Farm verlassen. Obwohl die Luft noch trocken war, drohten doch schwere, im Westen lagernde Dünste mit einem baldigen Witterungsumschlag.
Martin und Murdock waren am 15. aufgebrochen, vor dem 17. konnte man sie nicht zurückerwarten.
Bis zum Abend änderte sich das Wetter nicht merkbar, höchstens sank der Thermometer noch um weitere zwei Grad. Des Nachmittags erhob sich etwas Wind, und das gab einen neuen Grund zu Befürchtungen, denn im Thale des Cashen wüthen die Stürme gar heftig, wenn sie sich vom Meere aus darin fangen.
In der Nacht vom 16. zum 17. brach wirklich ein schwerer Sturm mit heftigem Schneegestöber aus. Zehn Schritte von der Farm hätte man diese in ihrem weißen Mantel gar nicht mehr erkannt. Furchtbar krachten die Eisschollen, die sich auf dem Flusse stießen. Jedenfalls waren Martin und Murdock zu dieser Stunde aus Tralee schon wieder aufgebrochen, sicherlich aber waren sie auch am 18. von da noch nicht heimgekehrt.
In der Nacht heulte und tobte es draußen ohne Unterlaß, zur großen Beunruhigung aller Zurückgebliebenen. Sie konnten ja fürchten, daß die Wanderer sich im tollen Schneetreiben verirrt hätten. Vielleicht waren sie gar nur wenige Meilen von der Farm erschöpft zusammengebrochen und liefen Gefahr, vor Hunger und Kälte umzukommen….
Am nächsten Tage klärte sich der Himmel ein wenig auf und der Sturm flaute ab. Infolge einer Drehung des Windes nach Norden verhärtete sich der Schnee fast augenblicklich. Sim erklärte sich bereit, dem Vater und dem Bruder in Begleitung Birks entgegenzugehen, und die übrigen stimmten ihm zu unter der Bedingung, daß auch Martine und Kitty sich ihm anschließen dürften.
Zu seinem Leidwesen mußte also Findling bei der Großmutter und dem Baby zu Hause bleiben.
Die andern sollten den Erwarteten auch nur bis auf zwei, höchstens drei Meilen entgegengehen, dann aber nach Hause zurückkehren, selbst wenn es Sim für angezeigt hielt, noch eine Strecke weiter vorzudringen.
Eine Viertelstunde später waren die Großmutter und Findling schon allein. Jenny schlief in einem Zimmer neben der großen Stube, dem Murdocks und Kittys. Ein Korb, der nach irischer Art an zwei an der Decke befestigten Stricken hing, diente dem Kind als Wiege.
Der Lehnstuhl der Großmutter stand vor dem Kamine, in dem Findling mit Torf und Holz ein tüchtiges Feuer unterhielt. Von Zeit zu Zeit sah er nach, ob sein »Töchterchen« nicht erwacht wäre, da ihn jede Bewegung der Kleinen beunruhigte, immer bereit, ihr etwas Milch zu reichen oder sie auch wieder in Schlaf zu wiegen.
Voller Unruhe lauschte die Großmutter auf jedes Geräusch von draußen, auf das Knistern des Schnees, der sich verhärtend auf dem Strohdach zusammenzog, und auf die seufzerähnlichen Laute aus den Brettern, die da und dort durch die Kälte sprangen.
»Du hörst nichts, Findling? fragte sie.
– Nein, Großmutter!«
Und nachdem er die Scheiben stellenweise von den glitzernden Eisblumen befreit hatte, suchte der Knabe einen Blick nach dem weiß überdeckten Hofe zu werfen.
Gegen halb ein Uhr stieß das kleine Mädchen einen leichten Schrei aus. Findling eilte zu ihr hin. Da sie aber die Augen nicht
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