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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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der Familie wegen Murdocks der Umstand, daß der zu den strengsten Maßregeln entschlossene Lordlieutenant der Insel die Nationalisten durch seine Polizeiorgane aufs schärfste überwachen ließ.
    Stimmten Martin und Sim auch mit den Anschauungen Murdocks überein, so äußerten sie doch kein Wort, wenn dieser nach längerem Ausbleiben heimkehrte. Die Frauen dagegen flehten ihn an, vorsichtig zu sein und sich in Thaten und Worten in Acht zu nehmen. Sie versuchten ihm das Versprechen abzunöthigen, daß er sich einem Aufstand für
Home rule
, der doch nur Unheil bringen könne, nie anschließen werde.
    Das reizte Murdock, der seinem Ingrimm nun laut Luft machte. Er sprach und gesticulierte, als ob er sich in einer Volksversammlung befände.
    »Nichts als Elend, nach einem Leben voller Arbeit nichts als Elend!« wiederholte er.
    Und während Martine und Kitty davor zitterten, daß er gehört werden könnte, wenn draußen gerade ein Polizist umherschlich, senkten die danebensitzenden Martin und Sim nur schweigend den Kopf auf die Brust.
    Findling war tief ergriffen Zeuge dieser peinlichen Auftritte. Erschien es ihm dabei zuweilen doch, als sei er nach so vielen früheren Prüfungen auch in der Farm von Kerwan noch nicht ans Ende seiner Leiden gekommen und als sollte ihm die Zukunft noch schlimmere bringen.
    Er zählte jetzt achteinhalb Jahre. Für sein Alter recht kräftig und den gewöhnlichen Kinderkrankheiten glücklich entgangen, hatten weder Trübsal und Leiden, noch schlechte Behandlung und mangelnde Pflege seinen Organismus zu erschüttern vermocht. Findling war »bis zum Maximum der Widerstandsfähigkeit geprüft worden« und zeigte eine erstaunliche physische und moralische Festigkeit. Das erkannte man an den gut entwickelten Schultern, der schon recht breiten Brust und seinen zwar schlanken, doch nervigen und muskulösen Gliedern. Sein Haar färbte sich dunkler und er trug es schlicht, statt der Locken, die ihm Miß Anna Walston hatte brennen lassen. Seine tiefblauen, glänzenden Augen verriethen eine außerordentliche Lebhaftigkeit, der leichtgeschlossene Mund und das etwas kräftige Kinn die Energie und Entschiedenheit seines Charakters. Alles das hatte die Aufmerksamkeit der Farmerfamilie wachgerufen. Diese ernsten und nachdenklichen Landleute Irlands sind meist recht gute Beobachter. Auch den Bewohnern der Farm von Kerwan hatte es nicht entgehen können, wie dieser Knabe sich durch seinen Sinn für Ordnung und durch regen Fleiß auszeichnete und daß er sich bestimmt emporarbeiten würde, wenn er nur Gelegenheit fand, seine natürlichen Anlagen zu bethätigen.
    Die Zeit der Heu-und Getreideernte war durch die Witterung weit weniger begünstigt, als im vorigen Jahre. Der Minderertrag an Körnerfrüchten erwies sich so bedeutend, wie man gefürchtet hatte, so daß heuer keine fremden Arbeitskräfte hinzugezogen zu werden brauchten. Dagegen war die Kartoffelernte gut und damit die Ernährung während der schlechten Jahreszeit gesichert. Woher freilich das Geld kommen sollte, um Pacht und Abgaben zu bezahlen, das wußte niemand.
    Der Winter trat frühzeitig ein, schon im September gab es den ersten Frost, dem bald ergiebiger Schneefall folgte. Die Thiere mußten eher als sonst in den Ställen untergebracht werden, denn die weiße Decke war so tief und fest, daß weder Schafe noch Ziegen ein Hälmchen darunter hätten erlangen können. Das ließ einen Futtermangel für den Winter befürchten. Die Klugen, oder mindestens die, denen es an Mitteln nicht ganz fehlte – und zu diesen gehörte Martin Mac Carthy – ergänzten ihre Vorräthe durch Zukauf. Bei der Seltenheit der Waare mußten sie freilich höhere Preise anlegen, und es wäre vielleicht besser gewesen, den Bestand an Vieh zu vermindern, das bei einer langen Ueberwinterung nur schwierig zu erhalten war.
    Der Frost, der den Boden bis auf einige Fuß Tiefe zum gefrieren bringt, ist ja überall sehr beschwerlich, vorzüglich aber bei leichter, kieselreicher Decke, wie in Irland, die auch die wenige Düngung, die man darauf bringt, sehr mangelhaft zurückhält. Dauert ein strenger Winter dann aber gar noch lange an, so dringt der Frost ungemein tief in die Erde und die Pflugschar ist nicht im Stande, den steinharten Humus zu lockern. Kann dann die Saat nicht zeitig genug bestellt werden, so droht das schlimmste Ungemach! Leider vermag der Mensch die klimatischen Verhältnisse nicht zu beeinflussen. Er kann nur mit gekreuzten Armen zusehen, wie seine

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