Der Findling
geöffnet hatte, begnügte er sich damit, sie aufs neue einzuwiegen.
Schon wollte er die bejahrte Frau, die er nicht gern allein ließ, wieder aufsuchen, als draußen ein merkwürdiges Geräusch entstand. Es klang wie ein Scharren und Kratzen, das von dem an das Zimmer Murdocks grenzenden Stalle herzukommen schien. Da die Zwischenwand aber aus Mauerwerk bestand, schenkte er diesem Geräusch keine weitere Aufmerksamkeit. Jedenfalls rührte es von einigen Ratten her, die draußen unter den Strohschütten umherliefen. Da auch das Fenster des Raumes geschlossen war, schien ja nichts zu fürchten zu sein.
Findling ließ die Thür zwischen beiden Räumen offen stehen und ging zur Großmutter zurück.
»Nun, wie steht’s mit Jenny? fragte diese.
– Sie ist wieder eingeschlummert.
– So bleib’ also bei mir, mein Kind.
– Ja, Großmutter!«
Vor dem wärmenden Kamin sitzend, sprachen nun beide von Martin und Murdock und von den andern, die diesen entgegengegangen waren.
Wenn diese nur nicht Unglück gehabt hatten, was ja bei so heftigem Schneegestöber nicht gar so selten vorkommt. Doch… die kräftigen, entschlossenen Männer würden sich schon zu helfen wissen, und wenn sie heimkamen, erwartete sie ein prasselndes Feuer und ein dampfender Grok, die Glieder wieder zu erwärmen.
Schon seit zwei Stunden waren Martine und die andern fortgegangen, doch bis jetzt deutete nichts auf ihre baldige Zurückkunft.
»Meinen Sie nicht, Großmutter, begann da Findling, daß ich einmal hinaus und bis zur Landstraße hin gehen sollte, um zu sehen, ob sie kommen?
– Nein, nein, das Haus darf nicht allein bleiben, und das ist es, wenn nur ich noch darin bin.«
Beide setzten also ihr Gespräch fort, bald aber nickte – was zuweilen vorkam – die bejahrte Frau vor zunehmender Abspannung ein.
Nach seiner Gewohnheit schob ihr Findling sanft ein Kissen unter den Kopf und schlich lautlos zum Fenster, um durch eine etwas vom Eis befreite Scheibe hinauszublicken.
Alles draußen war blendend weiß, alles still wie auf einem Friedhofe.
Da die Großmutter schlummerte und Jenny im Nebenzimmer gut gebettet lag, glaubte der Knabe jetzt einmal bis zur Landstraße laufen zu können, um nach den Ausbleibenden zu sehen.
So schlüpfte er denn geräuschlos hinaus und schloß die Thür hinter sich vorsichtig wieder. Bald bis über die Knie in den Schnee versinkend, erreichte er das Thor der Farm.
Auf der gleichmäßig weißen Landstraße war niemand mehr zu erblicken und kein Laut von Westen her zu vernehmen. Wären Martine, Kitty und Sim in der Nähe gewesen, so hätte sich gelegentlich gewiß ein Gebell Birks hören lassen.
Findling ging bis zur Mitte der Landstraße hin.
Da erweckte ein erneutes Scharren seine Aufmerksamkeit, das aber nicht von der Straße, sondern vom Pachthofe her tönte und von einem halberstickten Geheul begleitet schien.
Die Thiere mußten eher eingetrieben werden. (S. 173.)
Findling lauschte, ohne sich zu rühren, doch mit stark klopfendem Herzen. Entschlossen wendete er sich dann nach den Ställen zu und schlich aus Vorsicht möglichst geräuschlos um deren Ecke.
Noch immer hörte er das Scharren von innen, hinter dem Winkel, in dem Murdocks und Kittys Zimmer mit dem einen Stalle zusammenstieß.
In der Vorahnung eines Unglücks drückte sich Findling längs der Mauer hin.
Kaum gelangte er um die Ecke, als ihm ein Aufschrei entfuhr.
Hier bemerkte er in der Wand, deren Mörtel durch die Länge der Zeit mürbe geworden sein mochte, ein ziemlich großes Loch, das nach dem Zimmer führte, worin Jenny schlief.
Wer konnte hier durchgebrochen haben?… Ein Mensch?… Ein Thier?…
Ohne Zögern stürmte Findling auf die Mauerlücke zu und versuchte hier einzudringen.
In demselben Augenblicke aber entwich ein großes Thier daraus und warf entfliehend den Knaben zur Erde.
Es war das ein Wolf… einer der starken Wölfe mit spitzer Schnauze, die in langen Wintern haufenweise in Irland umherschweifen.
Nachdem dieser die Wand durchbrochen hatte und in das Zimmer gelangt war, hatte er Jennys Wiege gepackt, deren Aufhängestricke dabei rissen, und entfloh jetzt, indem er diese auf dem Schnee mit fortschleppte.
Das kleine Mädchen weinte jämmerlich.
Sein Messer fassend, stürmte Findling, während er laut um Hilfe rief, dem gefährlichen Räuber nach. Daran, daß der Wolf sich auf ihn stürzen, daß er dabei das Leben aufs Spiel setzen könnte, dachte er mit keiner Silbe. Er sah nur das Kind, wie es
Weitere Kostenlose Bücher