Der Findling
gehen, selbst von einer Locomotive, diesem keuchenden, dampfenden Rosse aus Stahl und Kupfer, durchs Land gezogen zu werden.
Findling blickte durch das Fenster hinaus, dessen Scheibe herabgelassen war. Obwohl der Zug sich nur mit mäßiger Schnelligkeit bewegte, erschien diese ihm doch ganz außerordentlich, wenn er Häuser und Bäume scheinbar nach rückwärts eilend vorüberfliegen sah, wenn die Telegraphenstangen an ihm vorbeihuschten, auf deren Drähten die Depeschen noch ungleich schneller dahinblitzten, oder wenn ein andrer Zug an ihm vorübersauste, den er nur als eine verschwommene, polternde Masse erkannte. Das waren für seine Vorstellung ebenso viele neue Eindrücke, die sich unauslöschlich in ihm festsetzten.
Einige Meilen weit folgte der Zug durch schöne Gegenden dem linken Ufer des Blackwaterflusses. Gegen zwei Uhr machte er, nach kurzem Verweilen an mehreren Zwischenstationen, im Bahnhofe von Millstreet für fünfundzwanzig Minuten Halt.
Die vornehme Familie blieb im Waggon, nachdem Marion zur Bedienung ihrer Herrin gerufen wurde; auch John hielt sich vor der Coupéthür zu Befehl seines Herrn. Der Knabe erhielt von dem Grafen Ashton Auftrag, ihm eine unterhaltende Lectüre für zwei bis drei Stunden zu besorgen. Er begab sich also zu dem Perronbuchhändler, wo er, durch die großen Vorräthe von Büchern und Zeitschriften in Verlegenheit gebracht, schließlich eine Wahl mehr nach eignem Geschmack, als nach dem des jungen Piborne traf. Dieser empfing ihn auch höchst ungnädig, als er ihm den »Touristenführer nach den Seen von Killarney« einhändigte. Als ob es dem Erben von Trelingarcastle einfallen könnte, ein Reisehandbuch zu studieren! Als ob diesem die Gegend, die er besuchte, überhaupt etwas anginge! Er begab sich dahin, weil man ihn dahin führte. So mußte der Groom noch ein Witzblatt mit Carricaturen und fadem Texte herbeischaffen, das dem Geschmack des jungen Grafen mehr zusagte.
Die Abfahrt von Millstreet erfolgte um zweieinhalb Uhr. Findling hatte sich wieder ans offne Fenster gesetzt. Der Zug rollte jetzt durch eine abwechslungsreiche, bergige Gegend hin. Das Wetter war schön, die Sonne nicht zu dicht verhüllt. Lord Piborne konnte sich beglückwünschen, für diesen Ausflug eine mehr trockene Periode getroffen zu haben, wo der Sonnenschirm der Marquise mehr Dienste leistete, als ihr Waterproof. Immerhin enthielt die Atmosphäre jene leichten Dünste, die den Berggipfeln, deren scharfe Linien sie abstumpfen, erhöhten Reiz verleihen. Findling konnte im Süden von der Bahnlinie die hohen Pics dieses Theiles der Grafschaft, den Caherbarnagh und den Paß erkennen, die bis zweitausend Fuß aufsteigen. Gerade in der Umgebung von Killarney treten die geologischen Umwälzungen in Irland am mächtigsten zu Tage.
Der Zug überschritt bald die Grenze zwischen den Grafschaften Cork und Kerry. Mit dem von seinem Herren verachteten Reiseführer in der Hand, verfolgte Findling voller Interesse die Gelände neben der Bahnlinie. Hier erweckte schon der Name Kerry seine lebhaftesten Erinnerungen. Zwanzig Meilen weiter nördlich waren ihm die schönsten Jahre der Kindheit verflossen, dort in der jetzt leer stehenden Farm von Kerwan, woraus der mitleidlose Middleman die Familie Mac Carthy vertrieben hatte. Da wandte er die Augen von der Landschaft ab. Er blickte tief in sein Inneres, und der schmerzliche Eindruck davon hielt noch an, als der Zug im Bahnhofe von Killarney eintraf.
Für diesen kleinen Ort ist es ein von manchen Städten Europas empfundener Vorzug, am Ufer eines schönen Binnensees zu liegen, und Killarney verdankt sein glückliches Gedeihen ohne Zweifel der Kette von Wasserflächen, die sich von seinem Fuße aus hinzieht. Wegen seines Palastes, worin der katholische Bischof der Grafschaft residiert, wegen seiner Kathedrale oder wegen der hier befindlichen Irrenanstalt, auch wegen seines Franciscanerklosters oder seines Armenhauses strömen die Touristen in der schönen Jahreszeit hier wahrlich nicht zusammen. Nur seinen Seen verdankt es das Städtchen, der Sammelpunkt vieler Lustreisenden zu sein. Verlöre es seine herrliche Umgebung, so hätte Killarney sozusagen ausgelebt, was sehr zu bedauern wäre, vorzüglich für die Familie der Kenmare’s, da dieses Städtchen einen Theil ihres neunzigtausend Hektar großen Besitzthums bildet. An Hôtels hier und an dem eine Viertelstunde entfernten Ufer des Lough-Leane fehlt es nicht.
Lord Piborne hatte eines der bestempfohlenen
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