Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Reichtümer ordentlich besteuerte. Auf diese Weise könnte man die Staatsverschuldung auf unter 100 Prozent des BIP drücken. Doch es passiert nichts. Wieso?
In Italien, das weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Anteil an Steuerhinterziehern gehört, zeigen sich die Probleme und Widersprüche der europäischen Finanzpolitik besonders deutlich: Der ehemalige Finanzminister Tremonti befahl eine Art steuerlichen »Ablasshandel«: Wer immer Geld auf ausländische Konten geschafft hatte, konnte es gegen eine Minimalsteuer von 5 Prozent »legalisieren«, wenn er es ins Land zurückbrachte. Doch wie die Erfahrung zeigt, blieben diese Gelder nicht in Italien. Die hinterzogenen und im Ausland investierten Gelder kehrten, nun gewaschen, ins Ausland zurück. Nur ein geringer Bestandteil der unter diesem »Schutzschild« repatriierten Vermögenswerte blieben tatsächlich im Land. Wozu also diente die ganze Operation? Das fragt man sich im Land und in ganz Europa. Während also auf der einen Seite diese wunderbare »Geldwäscheaktion« für Betrüger aller Art lief, stiegen auf der anderen die Sätze für jene braven Bürger, die ihre Steuern noch bezahlen. Italien hat mittlerweile die höchsten Steuersätze in Europa. 53 Prozent zahlen gutverdienende Italiener in der Spitze auf ihr Einkommen. Ist das noch gerecht? Auf diese Frage weiß vermutlich jeder die Antwort, der dem Ruf, sich endlich zu empören, nachgekommen ist.
Wenn die PIIGS-Staaten Unternehmen wären und ihre Parlamente keine Volksvertretungen, sondern Aufsichtsräte, hätten die Gesellschafter die Herren und Damen wohl längst vor die Tür gesetzt. Stattdessen bleiben wie in einer Art perverser »Reise nach Jerusalem« die Gesichter stets dieselben, auch wenn sie gelegentlich den Platz wechseln. Und auch die politischen Maßnahmen ändern sich nicht. Nehmen wir zum Beispiel die Verteidigungsausgaben. Das defizitgeschädigte Griechenland leistet sich seit Jahren einen Verteidigungshaushalt von 2,5 Prozent des BIP, um gegen imaginäre Feinde gerüstet zu sein. Warum hat bislang noch niemand daran gedacht, diesen Posten in der Bilanz zu reduzieren?
Dasselbe gilt natürlich für die Frage der nationalen und internationalen Körperschaften. Warum wächst seit Jahren unter der Schirmherrschaft von mehr oder weniger amtierenden Politikern die Anzahl dieser Institutionen, welche die ökonomischen Übel des Kontinents ganz sicher nicht lösen werden? In den letzten Jahren schießen sogenannte Think Tanks aus dem Boden wie die Pilze, doch wir sollten nicht vergessen, dass es sich dabei letztlich um die klassischen Lobbyisten der Plutokratie handelt, die meist von multinationalen Konzernen wie Monsanto finanziert werden. Woher kommen die Gelder für deren Erhalt? Na, vom Staat natürlich. Einem Staat, der in der Wirtschaft keineswegs weniger präsent ist als zu Zeiten des Wohlfahrtsstaates. Er beteiligt sich nur mit anderen Zielen.
Heute wird unser Geld buchstäblich verpulvert, indem es bei öffentlichen Ausschreibungen immer in den Taschen jener Firmen landet, die von Freunden, Verwandten oder Komplizen der politischen Elite geführt werden. In Italien und Spanien ist die Liste der Bauskandale, bei denen öffentliche Aufträge erschlichen wurden, unendlich lang. Auch die Bewegung »14. Juli« in Israel wendet sich gegen diese Form des Betrugs. Auf den Plätzen Tel Avivs hat sie Zeltdörfer errichtet, um auf die Wohnungsnot der ärmeren Schichten hinzuweisen. Ihr Kampfruf heißt: »Bezahlbare Wohnungen für alle!«
Der Staat hingegen hat kein Geld mehr und lagert alles auf Zeitarbeitsfirmen aus: auch die Pflichten seiner treuesten Diener, der Beamten. Dies gilt nicht nur für Spanien und Italien, sondern auch für Griechenland und Portugal.
Elena, eine Italienerin, die mit solchen Verträgen abgespeist wird, erklärt uns, wie das läuft: »Ich habe einen Universitätsabschluss mit Bestnote und einen Master in Kommunikationswissenschaft. Seit vier Jahren arbeite ich im Landwirtschaftsministerium und kümmere mich dort um die Public Relations. Und doch bin ich nicht im Ministerium angestellt, sondern bei einer Zeitarbeitsfirma. Von dieser Firma, die zahlreiche Arbeiten für das Ministerium erledigt, erhalte ich nur Zeitverträge. Das ist natürlich ein übler Trick. Auf diese Weise werden öffentliche Gelder, die öffentlichen Zwecken dienen sollen, in die Taschen der Privatunternehmer umgelenkt. Meist solchen, die den verantwortlichen Politikern in irgendeiner Weise
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