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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Napoleoni
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Abhängigkeit vom Euro den Kapitalmarkt beeinflusst, solange man in Europa nicht erkennt, dass der Nutzen einer gemeinsamen Währung seine Grenzen hat, so lange sind die Rettungspakete nur ein Weg unter vielen, wie das Geld der Europäer, also unseres, zum Fenster hinausgeworfen wird. Denn woher kommt denn das Geld, das Brüssel verteilt, all die Milliarden für Griechenland und die restlichen defizitgeplagten Länder? Zum Teil aus der Notenpresse, zum Teil aber auch schlicht aus unserer Tasche. Auch die Italiener und Spanier zahlen mit, denn der Stabilitätsfonds der EU (EFSF) wird von den einzelnen Staaten je nach ihrer Wirtschaftskraft finanziert.
    Wir müssen den Mut haben, uns einzugestehen, dass Wirtschaftswachstum und gute Regierungsführung nicht vom Euro kommen. Wir müssen diese Mythen, die man uns in einer geschichtlich vollkommen anderen Lage verkauft hat, endlich schleifen. Mit oder ohne Euro kann ein Land nur dann Wohlstand schaffen, wenn seine politische Klasse es führt, statt es auszubeuten. Was wir weit mehr als den Euro brauchen, ist eine Art nationaler Bewusstwerdung. Und eine Massenbewegung, die unsere Politik reformiert.

3 Die neuen Bewegungen
    Wir wissen nur wenig über die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe, die den Rahmen für unsere Welt abgeben. Die aktuelle Informationslage lässt ein wenig an den Irak denken. Auch was den Flächenbrand der Empörung angeht, gibt es zwei Informationskanäle und dementsprechend zwei Darstellungen: die offizielle und die virtuelle Version. Diesmal aber sind es nicht der Regierungspropaganda aufgesessene embedded journalists , die sich als Tendenzbildner betätigen. Vielmehr haben wir es hier mit professionellen Informationsmachern zu tun, die kategorisch ausschließen, dass diese Revolution sich zum Flächenbrand auswachsen könnte. Europa betet sich selbst vor, dass der Fall der Berliner Mauer mit Sicherheit die letzte Revolution war, die der Kontinent erlebte, und dass die Gemeinschaftswährung solide ist.
    Und doch würde eine gründliche Analyse der Ereignisse, die sich im Jahr 2011 im Mittelmeerraum zugetragen haben, schnell die Parallelen zwischen der heutigen Situation und der Französischen Revolution vor 300 Jahren zutage fördern. Schon Rhetorik und Wortschatz der Revolutionäre weisen unglaubliche Gemeinsamkeiten auf. Heute wie damals sind die Menschen unzufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Nicht von ungefähr vergleicht man die Revolution in Tunesien – vielerorts als »Jasminrevolution« bezeichnet – und jene in Ägypten mit den Revolutionen der Neuzeit. Doch eine vergleichende Lektüre würde der Bedeutung dieser Bewegung nicht in ihrem wahren Ausmaß gerecht werden. Vielversprechender erscheint da eine Betrachtung der Kräfte, die sie antreiben.
    Möglicherweise ist die revolutionäre Bewegung rund ums Mittelmeer das letzte Element im Zyklus der Revolutionen der Neuzeit, der mit der Französischen Revolution begonnen hat. Auch diese hat die geopolitische Landkarte Europas neu geordnet. Sollte das Assad-Regime in Syrien je gestürzt werden, hätte dies zugleich massive Auswirkungen auf die umliegenden Regionen und nicht zuletzt auf Israel – auf einen Teil der Welt, den die westlichen Länder seit vierzig Jahren am Reißbrett aufzuteilen versuchen, als spielten sie Monopoly.
    Doch dies sind nicht die Themen, welche die jungen Muslime bewegen. Sie haben keine großen Visionen für die politische Zukunft ihrer Region. Was sie verlangen, unterscheidet sich zunächst einmal nicht von dem, was die Menschen in der westlichen Welt verlangt haben. Auch dies eine Analogie zur Französischen Revolution: Die Bevölkerung geht um ihrer persönlichen Bedürfnisse willen auf die Straße. 1789 in Paris hungerte das Volk. 2011 haben die Menschen in Tunis wie in Kairo keine Zukunft. Die Forderungen sind einfach, menschlich und überall gleich: Man träumt von einem Staat für das Volk, nicht von einem neuen Entwurf der Weltordnung. Doch eben dazu wird es kommen. Der Flächenbrand ist längst schon dabei zu lodern, und er verwandelt die Mittelmeerländer in ein soziales Pulverfass, weil die von den Supermächten geschaffene Ordnung des politischen Schachbretts nicht mehr funktioniert. Die israelische Bewegung »14. Juli« passt da durchaus ins Bild. Die jungen Leute sagen uns, dass die Zivilgesellschaft von Monopoly genug hat. Und dass es jetzt ernst wird.
    Wenn dies tatsächlich so ist, befinden wir uns am Beginn einer neuen Epoche

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