Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Twitter den Euro-Plus-Pakt aufs Korn, nur Stunden nachdem die EU verlauten ließ, die Finanzminister der Euro-Zone müssten ihn bis Ende Juni unterzeichnen. Dieser Pakt würde, wie die verschiedenen Beiträge in den Online-Debatten erkennen ließen, dem IWF, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Weltbank erlauben, massiv in die Wirtschaft der Defizit-Länder einzugreifen. In anderen Worten: Das Schicksal ganzer Nationen wurde in die Hände dieser drei Organisationen gelegt. Ein neuer Trick also, um die Interessen dieser drei Giganten der Finanzwelt zu stärken – zum Schaden des Volkes.
Die Bewegung der Empörten arbeitet in kurzer Zeit eine konkrete Alternative zu dem von der EU vorgeschlagenen Maßnahmenpaket aus, die die Profiteure der Finanzblasen zwingt, sich der Schulden anzunehmen, die sie verursacht haben, indem sie offensiv ihre illusorischen Wohlstandsvisionen vermarkteten. Sie forderten, dass deutsche und französische Banken die Verantwortung dafür übernehmen sollten, dass sie Geld an Länder verliehen, die dieses nicht zurückzahlen konnten. Dass die Regierung eine Steuer auf große Vermögen einführen sollte, auf Kapitalgewinne und Finanztransaktionen. So steht es in den Manifesten der Empörung.
Ausgezeichnete Vorschläge, die die Politik jedoch nicht ernst nimmt. In Italien beispielsweise entwarf der damalige Finanzminister Giulio Tremonti ein Maßnahmenpaket, das Italiens Staatsschulden bis 2014 empfindlich reduzieren sollte, und achtete dabei offensichtlich sorgsamst darauf, ebenjene 10 Prozent der Bevölkerung nicht zu belasten, denen 45 Prozent des nationalen Vermögens gehören. Wie im Mittelalter ist es nicht die Elite der Macht, die für die Schulden geradesteht, sondern das Volk, dessen Taschen ohnehin schon leer sind. Auch Papandreou unternahm keinerlei Anstalten, die hinterzogenen Steuermilliarden Griechenlands einzutreiben von den griechischen Reedern, die ihre Büros in aller Welt haben.
Doch kehren wir zum Ursprung der Proteste zurück. Mitte Juli, als noch keinerlei Vereinbarung über den Umgang mit den griechischen Staatsschulden getroffen war, als die Ratingagentur Moody’s portugiesischen Staatsanleihen den Status »Junk« verliehen hatte, nahmen die Spekulanten Italien ins Visier. Tremontis Sparplan, der sie beruhigen sollte, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Er würde nicht funktionieren, so wenig wie der Euro-Plus-Pakt, der schon einen Monat nach seiner Geburt überholt war. Denn was soll ein Sparpaket über 80 Milliarden Euro bringen, wenn die Staatsschuld 120 Prozent des BIP beträgt, nämlich 1800 Milliarden Euro? Italiens Verschuldung ist höher als die der übrigen PIIGS-Länder (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) zusammen. Wie sich diese wohl reduzieren ließe, war die große Frage auf den öffentlichen Spielwiesen der Macht, als im August 2011 die Attacken der Spekulanten wieder Fahrt aufnahmen.
Hatten die Italiener da wirklich Grund zur Verwunderung? Bereits Mitte Juli stieg der Zinssatz, zu dem die Märkte bereit waren, italienische Staatsanleihen zu erwerben, um 1 Prozent, was die Staatsschuld schlagartig um 35 Milliarden erhöhte. Und schwups hat sich die Hälfte der Einsparungen aus dem Tremonti-Paket in Luft aufgelöst. Sollten wir uns nicht vielleicht mal anhören, was das Volk auf der Straße zu sagen hat? Und, um die Sache auf einen guten Weg zu bringen, die Pensionen und Diäten der Abgeordneten kürzen, wie in Großbritannien geschehen?
Auch wenn diese Maßnahme am Schuldenberg wenig ändert, so wäre dies zumindest ein Zeichen des erneuerten Bandes zwischen Regierenden und Regierten, ein Zeichen der Solidarität. Und da die Märkte mit Sorge auf ein Italien blicken, das mit seiner Regierung zunehmend unzufrieden ist, würde diese Maßnahme sie vielleicht sogar beruhigen. Sparpolitik muss bei den Politikern anfangen, die jenen als Vorbild dienen sollen, die sie gewählt haben und die sie bezahlen.
Wie das Geld der Italiener verschleudert wird
Sollte es ein Zufall sein, dass gerade in Italien, dem Land mit dem drittgrößten Schuldenberg der Welt, die Diäten und Pen sionen der Politiker am höchsten sind? Eine Studie des Wall Street Journal zeigt, dass ein italienischer Abgeordneter im Jahr 2010 durchschnittlich 11.704 Euro im Monat bekam, wohingegen die Kollegen vom Europaparlament sich mit 7957 Euro begnügen müssen, die Deutschen mit 7668 Euro, die Franzosen mit 7100 Euro und die englischen Parlamentarier gar nur mit
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