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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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jetzt?« fragte er.
    »Wir sollten auf jeden Fall hier vom Boot verschwinden«, sagte Wadkins. »Er kann uns oben vom Weg sehen, wenn er kommt.«
    Sie standen auf, schlossen die Luken, und Wadkins machte einen großen Schritt über das Ankertau, um nicht noch einmal zu stolpern.
    Lebie blieb stehen.
    »Was ist los?« fragte Harry.
    »Nun«, sagte Lebie, »ich verstehe ja nicht so viel von Booten, aber ist das da üblich?«
    »Was denn?«
    »Den Anker zu setzen, wenn man vorne und hinten am Anleger vertäut ist?«
    Sie schauten einander an.
    »Los, faß mit an«, sagte Harry.
     
    Es war drei Uhr.
    Sie rasten über die Straße. Die Wolken rasten am Himmel. Die Bäume am Rand des Weges schüttelten sich und winktensie weiter. Das Gras drückte sich flach an den Boden, und es knackte im Funkgerät. Die Sonne war verblaßt, und dunkle Schatten huschten über das Meer.
    Harry saß auf dem Rücksitz, aber er sah nichts von dem Sturm, der um sie herum aufkam. Er sah nur das grüne schmierige Tau, das sie mit langsamen, schweren Zügen aus dem Meer gezogen hatten. Die Wassertropfen waren wie glitzernde Kristallstückchen aus dem Tau ins Wasser zurückgefallen, und weit dort unten hatte er eine weiße Kontur erkennen können, die sich ihnen langsam näherte.
    Einmal in den Sommerferien hatte Vater ihn im Ruderboot mitgenommen. Sie hatten einen Heilbutt gefangen. Der war weiß gewesen und unbeschreiblich groß, und auch da hatte Harry einen ganz trockenen Mund bekommen, und seine Hände hatten gezittert. Mutter und Großmutter hingegen hatten die Hände begeistert über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie mit ihrem Fang in die Küche gekommen waren, und hatten sofort begonnen, den kalten, blutigen Fischkörper mit großen, glänzenden Messern zu zerschneiden. Den Rest des Sommers hatte Harry von dem schweren Heilbutt geträumt. Von den herausquellenden Augen, die schockiert erstarrt waren, als wollten sie nicht glauben, daß er jetzt sterben mußte. An Weihnachten hatte er dann große, geleeartige Stücke auf seinem Teller gehabt, und sein Vater hatte stolz erzählt, wie Harry und er den großen Heilbutt aus dem Isfjord gezogen hatten. »Wir haben gedacht, wir essen dieses Jahr Weihnachten mal etwas anderes«, hatte seine Mutter gesagt. Es hatte nach Tod und Verwesung geschmeckt, und verbittert und wütend war Harry vom Tisch aufgestanden.
    Und jetzt saß er auf dem Rücksitz eines rasenden Autos. Er schloß die Augen und sah sich selbst ins Wasser hinabstarren, in dem etwas schimmerte, das aussah wie eine Feuerqualle, die bei jedem Ruck mit dem Tau ihre roten Nesselfäden anlegte, um sie sogleich wieder auszubreiten, als wolle sie davonschwimmen. Als sie an die Oberfläche kam, breitete sie ihreFäden fächerförmig aus, als versuchte sie den nackten weißen Körper darunter zu verbergen. Das Ankertau war um den Hals gewickelt, und der leblose Körper kam Harry merkwürdig fremd vor. Als ginge er ihn nichts an.
    Aber als sie sie auf den Rücken drehten, spürte Harry ihn wieder. Diesen Blick von diesem Sommer. Ein gebrochener Blick, der eine überraschte, klagende letzte Frage ausdrückte: Ist das alles? Bedeutet das wirklich, daß es so mir nichts, dir nichts zu Ende ist? Sind Leben und Tod wirklich so banal?
    »Ist sie das?« hatte Wadkins gefragt, und Harry hatte die Frage verneint.
    Als er die Frage wiederholt hatte, war Harrys Blick auf das Schulterblatt gefallen, über das sich neben einem noch weißeren Streifen, an dem das Bikinioberteil gesessen hatte, rote Haut spannte.
    »Sie hat sich verbrannt«, hatte er verwundert gesagt. »Sie bat mich, sie auf dem Rücken einzucremen. Sie sagte, sie vertraue mir, aber sie hat sich verbrannt.«
    Wadkins hatte sich vor ihn gestellt und seine Hände auf Harrys Schultern gelegt. »Es ist nicht deine Schuld, Harry. Hörst du? Es wäre so oder so passiert. Es ist nicht deine Schuld!«
     
    Es war jetzt merklich dunkler geworden, und ein paar gewaltige Böen rissen und zerrten an den großen Eukalyptusbäumen, so daß es aussah, als wollten sie sich losreißen und, vom Sturm zum Leben erweckt, herumlaufen. »Die Adler singen«, sagte Harry plötzlich vom Rücksitz. Seit sie losgefahren waren, hatte niemand auch nur ein Wort gesagt. Wadkins drehte sich um, und Lebie schaute ihn über den Rückspiegel an. Harry räusperte sich laut.
    »Andrew hat das mal gesagt. Daß die Adler und die Menschen der Adlerfamilie die Macht hätten, mit ihrem Gesang Sturm und Regen zu erzeugen. Er

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