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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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begleiten und ihren Geist verlangen. Unser Wirinun kann ihre gebrochenen Glieder heilen, und ich werde ihr den Geist wiedergeben und ihr Leben einhauchen.‹ ›Es ist zu spät‹, sagte der Vater, ›ihr Geist ist bereits dort, wo der Geist aller gestorbenen Frauen ist. Aber die, die sie getötet hat, lebt noch immer. Kennst du deine Pflicht, Sohn?‹
    Walla ging, ohne ein Wort zu erwidern, davon. Er wohnte gemeinsam mit den anderen unverheirateten Männern des Stammes in einer Höhle. Auch mit ihnen sprach er nicht. Viele Monate vergingen, ohne daß Walla an den Tänzen und den Gesängen teilnahm. Er saß immer nur für sich allein da. Manche glaubten, sein Herz sei versteinert und daß er versuche, Moora zu vergessen. Andere glaubten, daß er plante, Moora in das Reich der toten Frauen zu folgen. Das wird ihm niemals gelingen, sagten sie. Es gibt einen Ort für Männer und einen für Frauen.
    Eine Frau kam zum Feuer und setzte sich. ›Ihr habt unrecht‹, sagte sie. ›Er ist nur in Gedanken vertieft, wie er seine Frau rächen kann. Glaubt ihr etwa, es ist damit getan, einfach einen Speer zu nehmen und Bubbur, die große braungelbeSchlange, zu töten? Ihr habt sie niemals gesehen, aber ich habe sie gesehen, als ich jung war, und an jenem Tag habe ich mein graues Haar bekommen. Es war der schrecklichste Anblick, den man sich nur denken kann. Glaubt meinen Worten, Bubbur kann nur auf eine einzige Art besiegt werden, mit Mut und List. Und das, glaube ich, hat unser junger Krieger.‹
    Am nächsten Tag kam Walla ans Feuer. Seine Augen glänzten, und er wirkte fast gutgelaunt, als er fragte, wer mitkommen wolle, um Gummi zu sammeln. ›Wir haben Gummi‹, gab man ihm, überrascht über seinen Humor, zur Antwort. ›Du kannst es von uns haben.‹ – ›Ich brauche frisches Gummi‹, sagte er. Er lachte über ihre verschreckten Gesichter und sagte: ›Kommt mit, dann zeige ich euch, wofür ich das Gummi brauche.‹ Neugierig folgten sie ihm, und nachdem sie genug Gummi gesammelt hatten, führte er sie zu dem Tal mit den großen Steinen. Dort baute er sich in dem höchsten Baum eine Plattform und bat die anderen, sich zum Talschluß zurückzuziehen. Er nahm seinen besten Freund mit auf den Baum, und von dort oben riefen sie Bubburs Namen, wobei das Echo durch das Tal grollte und die Sonne immer höher an den Himmel stieg.
    Plötzlich war Bubbur da – ein riesiger braungelber Kopf schwang hin und her und schien nach der Herkunft der Rufe zu suchen. Um sie herum wimmelte es von kleinen gelbbraunen Schlangen, sicher aus den Eiern, die Moora gesehen hatte. Walla und sein Freund kneteten das Gummi zu großen Kugeln. Als Bubbur sie im Baum erblickte, öffnete sie ihren Rachen, zischelte mit der Zunge und streckte sich zu ihnen empor. Die Sonne stand jetzt ganz hoch am Himmel, und die Strahlen glitzerten in Bubburs weißrotem Rachen. Als sie versuchte anzugreifen, warf Walla die größte Kugel direkt in Bubburs geöffneten Rachen, und die Schlange biß instinktiv zu, so daß die Zähne tief im Gummi versanken.
    Bubbur wand sich auf dem Boden herum, aber es gelang ihr nicht, das Gummi, das in ihrem Maul festsaß, wieder loszuwerden.Es gelang Walla und seinem Freund, damit auch alle kleineren Schlangen ungefährlich zu machen. Denn ihre Rachen waren versiegelt. Dann rief Walla die anderen Männer herbei, und diese zeigten keine Gnade. Alle Schlangen wurden getötet. Bubbur hatte schließlich die schönste Tochter des Stammes getötet, und Bubburs Nachkommen konnten eines Tages zu ebensolchen Riesen heranwachsen, wie ihre Mutter einer war. Seit diesem Tag ist die gefürchtete braungelbe Bubbur-Schlange in Australien sehr selten. Aber die Furcht der Menschen hat sie mit jedem Jahr, das verging, länger und dicker werden lassen.«
    Andrew trank seinen Gin Tonic aus.
    »Und die Moral von der Geschichte?« fragte Birgitta.
    »Daß die Liebe ein größeres Mysterium ist als der Tod. Und daß man auf Schlangen aufpassen muß.«
    Andrew bezahlte den Drink, gab Harry einen aufmunternden Klaps auf den Rücken und ging.

MOORA

 
    6 Ein Morgenrock, statistische Signifikanz
    und ein Aquarienfisch
     
     
    E r schlug die Augen auf. Draußen vor dem Fenster, von wo aus ihm die Gardine müde zuwinkte, summte und brummte die erwachende Großstadt. Er blieb liegen, und sein Blick fiel auf eine Absurdität, die an der gegenüberliegenden Wand des großen Zimmers hing – ein Bild des schwedischen Königspaares. Die Königin mit ihrem ruhigen,

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