Der Fledermausmann
hat er diese schrecklichen Untaten begangen?«
»Laß mal sehen. Ich glaube, das war in einem Park. Hier steht es ja. Green Park, das ist ein kleiner . . .«
»Den kenn ich.« Er dachte schnell nach. »Vielleicht sollte ich einen kleinen Spaziergang machen. Ich hab den Eindruck, daß sich da ein paar Leute fest niedergelassen haben. Vielleicht wissen die was.«
Harry notierte sich die Daten der Vergehen in einem kleinen, schwarzen Kalender, den er jedes Jahr von seinem Vater zu Weihnachten bekam.
»Nur zum Spaß, Yong, was ist leichter Exhibitionismus?«
»Achtzehn Jahre alt zu sein, besoffen und dann am norwegischen Nationalfeiertag einer vorbeipatrouillierenden Polizeistreife den nackten Arsch entgegenzustrecken.«
Er war so perplex, daß er kein Wort mehr herausbrachte. Yong mußte am anderen Ende der Leitung kichern. »Wie . . .?« stotterte Harry.
»Es ist unglaublich, was man mit ein paar Paßwörtern und einem dänischen Kollegen im Nachbarzimmer alles erreichen kann.« Yong lachte herzlich. Harry spürte, wie die Temperatur unter seinem Pony langsam zu steigen begann.
»Ich hoffe, das macht nichts!« Yong hörte sich plötzlich besorgt an. Er befürchtete, zu weit gegangen zu sein. »Ich habe den anderen nichts verraten.«
Er hörte sich so unglücklich an, daß Harry es nicht übers Herz brachte, wütend zu sein.
»In der Patrouille war eine Frau, sie hat mir hinterher ein Kompliment für meine knackigen Arschbacken gemacht.« Yong lachte zufrieden.
Die Lichter im Park schalteten sich an, als Harry auf die Bank zuging. Er erkannte den grauen Mann sofort.
»Guten Abend.«
Der Kopf, der mit dem Kinn auf der Brust geruht hatte, wurde langsam gehoben, und ein paar braune Augen schauten Harry an – oder besser gesagt durch ihn hindurch – und hefteten sich auf einen Punkt in weiter Ferne.
»Fig?« fragte er mit brüchiger Stimme.
»Sorry? «
»Fig, fig?« wiederholte er und wedelte mit zwei Fingern in der Luft herum.
»Oh, fag. You want a cigarette?«
»Yeah, fig.«
Harry kramte zwei Zigaretten aus der Schachtel und nahm selbst eine. Einen Augenblick lang blieben sie still nebeneinandersitzen und genossen das Rauchen. Sie saßen in einer kleinen grünen Lunge mitten in einer Millionenstadt, und dennoch hatte Harry den Eindruck, weit, weit entfernt in einer öden Wildnis zu sitzen. Vielleicht, weil es dunkel wurde und die Luft dabei von dem elektrischen Zirpen unsichtbarer Heuschreckenbeine erfüllt war, die aneinandergerieben wurden. Oder war es das Gefühl des Rituellen, Zeitlosen, gemeinsam zu rauchen, der weiße Polizist und der schwarze Mann mit dem breiten, fremdartigen Gesicht, das so typisch für die Ureinwohner dieses riesigen Kontinents war.
»Willst du meine Jacke kaufen?«
Er warf einen Blick auf die Jacke des Mannes, eine Art Windjacke aus dünnem Stoff in frischen Rot- und Schwarztönen.
»Die Aborigine-Flagge«, erklärte der Mann und zeigte ihm den Rücken der Jacke. »Mein Vetter macht die.«
Harry lehnte höflich ab.
»Wie heißt du?« fragte der Aborigine. »Harry? Das ist ein englischer Name. Ich habe auch einen englischen Namen. Ich heiße Joseph. Mit p und h. Eigentlich ist das ein jüdischer Name. Der Vater von Jesus, dig? Joseph Walter Roderigue. Mein Stammesname ist Ngardagha. N-gar-dag-ha.«
»Bist du oft hier im Park, Joseph?«
»Ja, oft.« Joseph stellte wieder seinen Tausendmeterblick ein und entschwand. Er zog eine große Saftflasche aus seiner Jacke, bot Harry etwas an und nahm dann selbst einen großen Schluck, bevor er den Verschluß wieder sorgsam auf die Flasche schraubte. Die Jacke war aufgegangen, und Harry konnte die Tätowierung auf der Brust des Mannes erkennen. »Jerry«, stand dort diagonal über einem großen Kreuz.
»Du hast eine schöne Tätowierung, Joseph. Darf ich fragen, wer Jerry ist?«
»Jerry ist mein Sohn. Mein Sohn. Er ist vier Jahre alt.« Joseph spreizte seine Finger, während er versuchte bis vier zu zählen.
»Vier. Ich verstehe schon. Wo ist Jerry jetzt?«
»Zu Hause.« Joseph wedelte mit der Hand in die Luft, um anzudeuten, in welcher Richtung zu Hause war. »Zu Hause bei seiner Mutter.«
»Hör mal, Joseph. Ich bin auf der Suche nach einem Mann. Er heißt Hunter Robertson. Es handelt sich um einen Weißen, er ist klein und hat nur wenig Haare. Manchmal ist er auch hier im Park. Und er . . . zeigt sich gern. Weißt du, wen ich meine? Hast du ihn gesehen, Joseph?«
»Ja, ja, er kommt«, sagte Joseph und rieb sich die
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