Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Harry! Gib mir zwei Tage. Noch nicht! Versprich mir, daß ihr zwei Tage wartet! Ach Scheiße, Schwester !«
    Er schlug die Hand zur Seite, die ihn wieder nach unten drücken wollte.
    Harry stand am Kopfende und hielt das Bett fest. Er beugte sich hinunter und flüsterte schnell und entschieden, indem er fast jedes Wort einzeln ausspuckte:
    »Bis jetzt weiß niemand von den anderen, daß Otto dich kennt, aber das ist natürlich nur noch eine Frage der Zeit. Sie werden anfangen, über deine Rolle in dem Ganzen nachzudenken, Andrew. Ich kann diese Festnahme nicht aufhalten, wenn du mir nicht einen verdammt guten Grund dafür gibst, und zwar jetzt auf der Stelle !«
    Andrew packte Harrys Jackenkragen: »Du mußt genauer hinschauen, benutze deine Augen! Sieh doch, daß . . .«, begann er, brach dann aber ab und sank in die Kissen zurück.
    »Was?« versuchte Harry zu fragen, aber Andrew hatte die Augen geschlossen und machte eine ablehnende Handbewegung. Er sah plötzlich so alt und klein aus, dachte Harry. Alt, klein und schwarz in einem großen, weißen Bett.
    Eine der Schwestern schob Harry zur Seite, und das letzte, was er sah, bevor sich die Türen des Fahrstuhls schlossen, war Andrews große schwarze Hand, die noch immer winkte.

 
    11 Eine Hinrichtung und
    Birgitta zieht sich aus
     
     
    A m Bondi Beach hatte sich ein dünner Wolkenschleier vor die Nachmittagssonne geschoben. Der Strand begann sich zu leeren und ein gleichmäßiger Strom von Menschen, der Australiens berühmte und glamourösen Strände bevölkert, kam ihnen entgegen: Surfer mit weißgemalten Nasen und Lippen, Bodybuilder mit wiegendem Gang, Mädchen in abgeschnittenen Jeans auf Rollerblades, sonnengebräunte Prominente und silikonoperierte Badenymphen; kurz gesagt: »The Beautiful People«, die Jungen und Schönen und – zumindest nach außen – Erfolgreichen. Die Campbell Parade war mit ihren dicht an dicht liegenden Modeboutiquen, den kleinen, aber begehrten Hotels und den einfachen, aber unverhältnismäßig teuren Restaurants gerade zu dieser Zeit des Tages ein vor Menschen überquellender Boulevard. Offene Sportwagen schoben sich durch die Schlangen, und die Motoren heulten ihre ungeduldigen Brunftschreie, während die Fahrer mit ihren Sonnenbrillen durch die verspiegelten Scheiben ihrer Wagen den Bürgersteig beobachteten.
    Harry dachte an Kristin.
    An damals, als er und Kristin auf ihrer Interrail-Tour in Cannes aus dem Zug gestiegen waren. Es war in der Hauptsaison gewesen, und sie hatten nicht ein einziges anständiges Zimmer auftreiben können. Sie waren damals schon so lange unterwegs gewesen, daß ihre Reisekasse sehr zur Neige gegangen war, eine Übernachtung in einem der zahlreichen Luxushotels kam deshalb überhaupt nicht in Frage. Deswegen schauten sie nach, wann der nächste Zug nach Paris fuhr, verstauten ihre Rucksäcke in einem Schließfach und gingen zur Croisette hinunter. Dort promenierten sie hin und her und schauten sich die Menschen und Tiere an, alle gleichermaßenschön und reich, und die wahnwitzigen Jachten mit eigener Mannschaft – mit Cabincruisern als Zubringerbooten am Achterende befestigt und Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach – und sie schworen sich noch an Ort und Stelle, ihr Leben lang links zu wählen.
    Schließlich waren sie von all dem Hin- und Herlaufen so verschwitzt, daß sie ein Bad nehmen mußten. Handtuch und Badezeug waren im Rucksack, so daß sie in ihrer Unterwäsche schwimmen gehen mußten. Kristin hatte keine sauberen Slips mehr und trug deshalb Harrys triste Männerunterwäsche. Sie wateten glücklich kichernd mit ihren weißen Doppelripp-Unterhosen zwischen teuren Tangas und schwerem Goldschmuck ins Mittelmeer.
    Harry erinnerte sich daran, daß er hinterher auf dem Rücken im Sand lag und Kristin anschaute, die das T-Shirt lose um ihre Hüften geknotet hatte, während sie die nasse, schlabberige Unterhose auszog. Er genoß den Anblick ihrer glühenden Haut, die in der Sonne glitzernden Wassertropfen, das T-Shirt, das an einem langen, sonnengebräunten Schenkel entlangglitt, den weichen Bogen ihrer Hüfte und die langen Blicke der Franzosen, und er sah, daß auch sie ihn einen Augenblick lang anschaute, ihn auf frischer Tat ertappte, lächelte und seinem Blick standhielt, während sie zögerlich die Jeans hochzog – eine Hand unter das T-Shirt gleiten ließ, so als wolle sie den Reißverschluß hochziehen, sie aber dort liegen ließ, den Kopf hob und die Augen schloß . . . Dann fuhr sie

Weitere Kostenlose Bücher