Der Fledermausmann
sein Walkie-Talkie ein, um zu überprüfen, ob er Kontakt mit Lebie hatte, der sicherheitshalber im Saal geblieben war. Der Polizeiwagen an der Hintertür war bereits an Ort und Stelle.
Harry mußte sich selbst eingestehen, daß die neuen technischen Finessen der Nummer ihre Wirkung zeigten, aber er grübelte noch immer darüber nach, warum Otto Ludwig XVI. gegen die nicht eindeutig zu identifizierende blonde Frau eingetauscht hatte. Er rechnete wohl damit, daß Harry das Gratisticket nutzte und sich die Vorstellung ansah. War das seine Art, mit der Polizei zu spielen? Harry hatte gelesen, daß es nicht ungewöhnlich war, daß Serienmörder immer selbstsicherer wurden, je länger man sie nicht zu fassen bekam. Oder war es eine Bitte, daß ihn endlich jemand aufhielt? Aber natürlich gab es auch noch eine dritte Möglichkeit – daß es sich ganz einfach um eine Zirkusnummer handelte, die sie ein klein bißchen verändert hatten.
Eine Glocke ertönte.
»Here we go again,« sagte Wadkins. »Ich hoffe, heute abend werden nicht noch mehr Menschen umgebracht.«
Etwas später im zweiten Akt kam Otto, verkleidet als Jäger, wieder auf die Bühne geschlichen. Er hielt die Pistole in der Hand und schaute zwischen ein paar Bäumen, die man auf die Bühne geschoben hatte, nach oben. Aus den Bäumen klang Vogelgezwitscher, das der Jäger Otto zu imitieren versuchte, während er nach oben in die Zweige zielte. Es knallte, eine kleine Rauchwolke stieg aus der Pistole empor, und etwas Schwarzes fiel aus dem Baum und landete mit leisem Klatschen auf der Bühne. Der Jäger rannte zu der Stelle und hob überrascht eine schwarze Katze hoch! Otto verbeugte sich tief und verließ unter lautem Applaus die Bühne.
»Das habe ich nicht verstanden«, flüsterte Wadkins.
Harry hätte die Vorstellung vielleicht genießen können, wenn er nicht so aufgeregt gewesen wäre. Aber nun schaute er mehr auf die Uhr als auf die Bühne. Außerdem steckte in vielen Nummern eine politische Satire eher nationalen Charakters, die an Harry spurlos vorüberging, das Publikum aber sehr zu schätzen schien. Zum Schluß spielte die Musik auf, die Lampen blinkten, und alle Akteure betraten die Bühne.
Harry und Wadkins entschuldigten sich, als sie sich an der Reihe der Menschen vorbeischoben, die aufstehen mußten, um sie vorbeizulassen, und hasteten zu der Tür neben der Bühne. Sie war, wie abgesprochen, nicht verschlossen und ging auf einen Flur, der in einem Halbkreis hinter der Bühne entlang führte. Im hinteren Teil des Flures fanden sie die Tür mit dem Schild »Otto Rechtnagel, Clown« und warteten. Die Musik und das Getrampel aus dem Saal ließen die Wände wackeln. Gleichzeitig war ein kurzes Rauschen in Wadkins Walkie-Talkie zu hören. Er nahm es hoch.
»Schon?« fragte er. »Die Musik spielt doch noch! Over !« Er riß die Augen auf.
»Was? Sag das noch einmal! Over !«Harry begriff, daß etwas schiefgelaufen war.
»Bleib da und behalte die Bühnentür im Auge! Over und Ende!«
Wadkins steckte das Walkie-Talkie zurück in seine Innentasche und nahm die Pistole aus dem Schulterhalfter:
»Lebie sieht Otto Rechtnagel nicht auf der Bühne!« »Vielleicht erkennt er ihn nicht wieder, die verwenden ja verdammt viel Schminke, wenn die . . .«
»Das Schwein ist nicht auf der Bühne !« wiederholte er und drückte die Klinke der Garderobentür runter, aber die Tür war verschlossen.
»Scheiße, Holy, ich spüre, daß da was verdammt schiefläuft! Scheiße!«
Der Flur war eng. Wadkins stemmte sich mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand und trat dann gegen das Türschloß. Nach drei Tritten zersplitterte das Holz am Schloß, die Tür gab nach. Sie taumelten in eine leere Garderobe voll mit weißem Dampf. Der Boden war naß. Das Wasser und der Dampf drangen durch eine halbgeöffnete Tür, die offensichtlich zu einem Bad führte. Sie bezogen an den Seiten der Tür Stellung, auch Harry hatte jetzt seine Pistole gezogen und versuchte, die Waffe mit den Fingern zu entsichern.
»Rechtnagel!« schrie Wadkins. »Rechtnagel!«
Keine Antwort.
»Das gefällt mir gar nicht«, flüsterte er erregt.
Harry hatte zu viele Krimis gesehen, um der Situation etwas Positives abgewinnen zu können. Laufende Duschen, in denen niemand antwortete, hatten eine Tendenz, unschöne Dinge zu beherbergen.
Wadkins wies mit dem Zeigefinger auf Harry und mit dem Daumen in Richtung Dusche. Am liebsten hätte Harry ihm auch einen Finger gezeigt, aber er begriff,
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