Der Fledermausmann
sich neckend mit einer roten Zungenspitze über die Lippen, ließ sich fallen und landete, von Lachen geschüttelt, hart auf ihm.
Später aßen sie in einem viel zu teuren Straßenrestaurant mit Aussicht auf das Meer, und als die Sonne unterging, saßen sie eng umschlungen am Strand, und Kristin weinte ein bißchen, weil es so schön war. Da entschlossen sie sich, im Carlton-Hotel einzuchecken und später ohne zu bezahlen abzuhauen und dafür eventuell die zwei Tage Paris sausen zu lassen.
Immer wenn er sich an Kristin erinnerte, mußte er sofortan diesen Sommer denken. Alles war so intensiv gewesen, und im nachhinein fiel es leicht zu behaupten, daß der Grund dafür der Abschied gewesen war, der in der Luft lag. Außerdem konnte sich Harry nicht daran entsinnen, damals an so etwas überhaupt gedacht zu haben.
Im Herbst des gleichen Jahres ging Harry zum Militär, und noch vor Weihnachten hatte Kristin einen Musiker kennengelernt, mit dem sie nach London zog.
Ab der Ecke Campbell Parade und Lamrock Avenue saßen Harry, Lebie und Wadkins in einem Straßencafé. Ihr Tisch lag jetzt am späten Nachmittag im Schatten, aber es war noch nicht so spät, daß ihre Sonnenbrillen auffielen. Unangenehmer waren die Jacken bei der Wärme, aber die Alternative war, im Hemd und mit offenem Pistolengurt dazusitzen. Sie sagten nicht viel, sondern warteten einfach.
Auf der Strandpromenade, genau zwischen Strand und Campbell Parade, lag das St. George-Theater, ein schönes, gelbes Gebäude, in dem Otto Rechtnagel bald auftreten würde.
»Hast du früher schon einmal eine Browning Hi-Power benutzt?« fragte Wadkins.
Harry schüttelte den Kopf. Sie hatten ihm den Ladegriff gezeigt und wie man die Waffe sicherte, als man sie für ihn aus dem Depot geholt hatte, aber das war alles. Das war nicht so schlimm, Harry rechnete nicht gerade damit, daß Otto eine Maschinenpistole ziehen und sie alle niedermähen würde.
Lebie überprüfte seine Uhr. »Es wird Zeit,« sagte er. Sein Kopf war von einer Reihe Schweißperlen bedeckt.
Wadkins räusperte sich.
»Okay, zum letzten Mal: Wenn alle auf der Bühne stehen und sich nach der letzten Nummer verbeugen, nehmen Harry und ich den Seiteneingang neben der Bühne. Ich habe mit der Wache besprochen, daß diese Tür offen bleibt. Er hat auch ein großes Namensschild an der Garderobe von Otto Rechtnagel befestigt. Wir stellen uns vor die Tür und warten, bis Rechtnagelkommt. Und klick – Handschellen und keine Waffen, wenn es nicht unbedingt sein muß. Wir gehen zur Hintertür hinaus, wo ein Polizeiwagen auf uns wartet. Lebie bleibt im Saal sitzen und gibt uns über das Walkie-Talkie ein Signal, wenn Rechtnagel kommt. Das gleiche, wenn Rechtnagel Lunte riecht und versucht, durch den Saal in Richtung Haupteingang abzuhauen. Laßt uns auf unsere Plätze gehen und hoffen, daß die da drin Air-Conditioning haben.«
In dem kleinen, intimen Saal des St. George-Theaters war es brechend voll, und als sich der Vorhang hob, klatschten die Menschen voller Begeisterung. Das heißt, der Vorhang hob sich nicht, er fiel herunter. Die Clowns schauten zuerst verwirrt an die Decke, wo sich der Vorhang plötzlich gelöst hatte, und dann diskutierten sie mit weitausholenden Gebärden, bevor sie bei dem Versuch, den Vorhang zu beseitigen, planlos über die Bühne rannten, übereinander stolperten und entschuldigend mit den Hüten ins Publikum grüßten. Gelächter und aufmunternde Rufe folgten. Es schienen eine ganze Menge Freunde und Bekannte der Akteure im Saal zu sein. Die Bühne wurde aufgeräumt und zu einem Schafott umgebaut. Begleitet von einem langsamen, monotonen Trauermarsch, der auf einer einfachen Trommel gespielt wurde, betrat Otto die Szene.
Harry sah die Guillotine und wußte gleich, daß es sich um eine Variante der Nummer handeln mußte, die er im Power House gesehen hatte. Heute mußte ganz offensichtlich die Königin daran glauben, denn Otto trug ein rotes Ballkleid und eine riesige weiße Perücke. Auch sein Gesicht war weiß gepudert.
Der Henker trug ebenfalls ein neues Kostüm, einen enganliegenden, schwarzen Kittel mit großen Ohren und »Schwimmhäuten« unter den Armen, der ihn wie einen Teufel aussehen ließ.
Oder eine Fledermaus, dachte Harry.
Das Fallbeil der Guillotine wurde hochgezogen, ein Kürbis darunter plaziert, und dann wurde das Beil wieder fallengelassen. Mit einem dumpfen Laut schlug es auf dem Boden der Guillotine auf, als hätte es den Kürbis gar nicht
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