Der Fliegende Holländer
das vor dreißig Jahren einmal eine teure Tweedjacke gewesen war, erzählte den Zuhörern, daß sie gerade eine Sonate von Alban Berg gehört hatten. Vor langer Zeit, als die Jacke noch neu und die Welt noch einigermaßen aufnahmefähig und kein so erbärmlicher Ort gewesen war, hätte das vielleicht irgend jemanden da draußen interessiert.
Der abgespannt wirkende Mann kündigte Schuberts ›Unvollendete‹ an, setzte die Kopfhörer ab und fingerte auf der Suche nach einer Packung Pfefferminzpastillen in der Jackentasche herum. Keine mehr da. Mist!
»George?«
Die Tür des Studios hatte sich geöffnet – ein äußerst sonderbares Ereignis während der Arbeitszeit. Hatte sich etwa jemand auf der Suche nach der Toilette verlaufen? Nein, denn der Fremde hatte ja seinen Namen ausgesprochen. George drehte sich um.
»Kurzmeldung, George. Wir unterbrechen dieses Programm und so weiter.«
»Toll!« freute sich George. »Beim letztenmal, als ich so was gemacht hab, ging’s um den bedauernswerten Präsidenten Kennedy. Worum geht’s diesmal?«
»Atomkraftwerk in Schottland explodiert«, informiert man ihn.
George zog eine Augenbraue hoch. »Das ist ja furchtbar!«
»Allerdings.«
»Ich meine, wir werden das gesamte Nachmittagsprogramm umstellen müssen. Bestimmt werden den ganzen Tag über jede Menge Kurzmeldungen eintrudeln, und dadurch wird es dann unmöglich, Bartók zu spielen. Man kann Bartók nicht mit Unterbrechungen spielen. Das gehört sich nicht.«
»Da ist wohl wahr, George.«
»Ich bin froh, daß wir einer Meinung sind. Gibt es schon ein überarbeitetes Programm?«
»Nein, George, das gibt’s noch nicht«, sagte man ihm. »Ich nehme an, daß die zu sehr damit beschäftigt waren, Journalist zu spielen, um sich über die wirklich wichtigen Dinge des Senders Gedanken machen zu können.«
George runzelte die Stirn. »Na, na! Jetzt aber mal halblang. Es gibt keinen Grund, sarkastisch zu sein. Überlaß die Programmgestaltung lieber mir. Ich werd eben irgend was zusammenschustern müssen.«
»Sehr schön, mach du mal so, wie du denkst«, willigte Georges Gesprächspartner ein. »Niemand soll später sagen können, du hättest nicht die Ruhe bewahrt und so deinen Teil zur Überwindung der Krise beigetragen.«
»Danke.«
»Wie das Orchester auf der Titanic.«
»Danke.«
»Keine Ursache, George.«
Die Tür wurde wieder geschlossen, und George dachte einen Moment lang nach. Im Hintergrund spielte die Musik und inspirierte George zu dem Gedanken, daß sich die ›Unvollendete‹ mittlerweile per se an ihren Zustand gewöhnt haben dürfte und er sie gleich problemlos ausschalten könnte, um die Kurznachricht zu verlesen. Was kam für ein improvisiertes Programm mit Unterbrechungen sonst noch in Betracht?
Aus rein ästhetischen Erwägungen heraus wäre es zu diesem Zeitpunkt vielleicht angebracht, das Innere des Kraftwerks zu beschreiben, in dem gerade Vanderdecker, Montalban, die Besatzung der Verdomde und eine Katze unbestimmter Herkunft herumspazieren. Es gibt jedoch so etwas wie eine offizielle Geheimhaltungspflicht, und Schriftsteller mögen keine Gefängnisverpflegung – denken Sie zum Beispiel nur an Oscar Wilde.
»Wozu mußten Sie eigentlich diese Katze mitnehmen?« wollte Vanderdecker wissen, während er eine Schiebetür öffnete, die zu einem bestimmten Raum in einem Seitengebäude führte.
»Als Versuchskaninchen«, antwortete Montalban durch die verkohlten Stoffetzen hindurch, die einst ein Taschentuch gewesen waren, das er sich vor die Nase gehalten hatte.
Antonius runzelte die Stirn. »Was, Sie meinen, um eins zu fangen?«
Montalban blieb stehen und drehte sich um. »Um was zu fangen?«
»Ein Versuchskaninchen«, antwortete der Erste Maat. »Haben Sie deshalb die Katze mitgenommen?«
Montalban lächelte. »Nein, nein. Anscheinend können Sie mir nicht ganz folgen, guter Mann. Die Katze ist das Versuchskaninchen.«
»Das ist aber kein Kaninchen, das ist eine Katze«, erboste sich der Erste Maat.
»Du hast völlig recht, Antonius«, mischte sich Vanderdecker schnell ein. »Das ist eine Katze. Stimmt’s, Montalban? Oder haben Sie etwa noch Ihre Lesebrille auf?«
»Diese Katze«, sagte Montalban langsam und deutlich, »ist hier, um die Funktion eines Versuchskaninchens zu übernehmen.«
Die gerunzelte Stirn des Ersten Maats blieb so unverändert wie der Polarstern. »Sie meinen, sie soll in einem kleinen Rad herumrennen oder so was?«
»Ja«, antwortete der Professor, denn er
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