Der Fliegende Holländer
kleine Gruppe war bereits herausgeklettert und trottete nun auf den ausgesprochen unfreundlich wirkenden Kraftwerkskomplex zu. Selbst als er jetzt wie am Schnürchen in das tragbare Aufnahmegerät plapperte, ließ Dannys Blick nicht von seinen Opfern ab, denn er rechnete fest damit, daß sie jeden Augenblick zu kleinen Staubwölkchen aus Gammateilchen verpuffen würden (Dannys Kenntnisse auf dem Gebiet der Kernphysik beruhten in erster Linie auf Wiederholungen von Buck Rogers). Er schaute zum Kameramann hinüber, um sicherzugehen, daß die Linse dorthin zeigte, wo sie hinzeigen sollte. Das war der Fall. Aber hätte die radioaktive Strahlung nicht den Film versauen können? Mittlerweile war es sowieso zu spät, sich jetzt noch den Kopf darüber zu zerbrechen. Es war besser, gefilmt und das Material dann verloren zu haben, als überhaupt nicht gefilmt zu haben.
»Sie nähern sich jetzt dem Haupteingang«, murmelte er in sein Diktiergerät, seine Stimme klang dabei so aufgeregt wie die eines Sportkommentators. »Bis jetzt sind sie zwar noch nicht verbrannt, aber sicherlich ist das nur noch eine Frage der Zeit. Und wer wagt ernsthaft zu bezweifeln, daß die Frage, die diesen mutigen Männern in diesem Moment auf den Lippen brennt – natürlich vorausgesetzt, sie haben in diesem Moment noch Lippen – lautet, welche Reformen der Kernkraftwerksüberwachung die Regierung jetzt durchzuführen beabsichtigt, wenn sie auch nur ansatzweise ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der Nation zurückgewinnen will. Wußte etwa irgend jemand in der Downing Street davon, daß so etwas hier höchstwahrscheinlich passieren mußte? Gab es da womöglich eine Vertusch …?«
Bevor er ›…ung‹ sagen konnte, ertönte ein ohrenbetäubendes Donnern, und der Hubschrauber wurde von einem gewaltigen Luftstoß durchgerüttelt, als der vordere Teil des Kraftwerks in einer riesigen Wolke aus Rauch und gelben Flammen zusammenstürzte. Der Meißner Geigerzähler begann, ›Sah ein Knab ein Röslein stehn‹ zu spielen, was vermutlich seine kuriose Art war, im Stil des Rokoko Gefahr anzuzeigen. Danny blickte gebannt hinunter, aber außer aufwirbelnden Rauchwolken war nichts zu erkennen, und er befahl Neville, den Hubschrauber schnell aus der Gefahrenzone zu fliegen.
»Haben Sie alles im Kasten?« fragte er den Kameramann außer Atem.
Der Kameramann blickte ihn entsetzt an. »Au, Scheiße! Ich hab doch glatt vergessen, die Schutzkappe von der Linse abzunehmen. War nur ’n Scherz!« fügte er rasch hinzu, als sich Dannys Gesicht zu einer einzigen zornigen Maske verzerrte und sich seine Hand dem Pistolengriff näherte. »Verstehen Sie plötzlich keinen Spaß mehr?«
»Nein«, fauchte Danny. »Das ist mein BAFTA-Award, den Sie da in dem Ding haben, also hören Sie um Himmels willen auf, sich auf meine Kosten lustig zu machen.« Die Klänge vom ›Heideröslein‹ waren verstummt, und die schmale Anzeigenadel war wieder aus dem roten Bereich heraus. »Okay, Neville!« rief er nach vorn. »Lassen Sie uns zurückfliegen und noch mal nachsehen.«
Neville schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Kein Sprit mehr. Tut mir leid.«
Danny fluchte. »Was heißt hier, kein Sprit mehr?«
Neville deutete achselzuckend auf ein Gerät, das Danny für die Treibstoffanzeige hielt, obwohl es für seine Begriffe ebensogut der Kassettenrecorder hätte sein können.
»Sie Witzbold! Die Story des Jahrzehnts, und ausgerechnet jetzt ist das Benzin alle.«
»Das ist kein normales Benzin«, verbesserte ihn Neville. »Das ist spezielles Flugbenzin.«
»Mir ist egal, ob das Methylalkohol oder sonst was ist«, brüllte Danny. »Fliegen Sie gefälligst irgendwohin, wo Sie dieses Zeugs kriegen, und beeilen Sie sich!«
Neville schaute auf einer Karte nach und schlug den Ort Inverness vor.
Danny, der schon einmal in Inverness gewesen war, erschauderte zwar, aber anscheinend hatten sie keine andere Wahl. »In Ordnung! Aber beeilen Sie sich!«
Während der Hubschrauber abdrehte, starrte Danny verzweifelt aus dem Heckfenster, und durch ein Miasma schwarzer Wolken hindurch erkannte er gerade noch das helle Glühen eines brennenden Atomkraftwerks.
»Bleiben Sie dran«, sagte er. »Wir sind gleich nach der Werbung wieder da.«
Ein ganz normaler Tag in der recht heruntergekommenen und entsprechend unbehaglichen Zimmerflucht, die den verlorenen Seelen, die Radio Three betrieben, als Sendezentrale überlassen worden war. Ein abgespannt wirkender Mann, der ein Kleidungsstück trug,
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