Der Fliegende Holländer
noch etwas Geld schuldete. Wie die meisten Kaufleute damals hatte er viel mit Wollhandel zu tun. Er sagte mir, ich könne entweder im Kontor arbeiten oder zur See fahren, und da ich vom Umgang mit Rohwolle Hautausschlag kriege, hab ich mich für die Seefahrt entschieden. Schon komisch, was für die Berufswahl letztendlich ausschlaggebend ist. Ich hab mal einen Mann gekannt, der nur deshalb Söldner wurde, weil er auf den langen Urlaub scharf war. Er starb natürlich, bevor er noch dreißig war. Typhus.
Nun, ich hab hart gearbeitet und alles gespart, was ich verdient hab – wie man es eigentlich von einem jungen Burschen erwarten sollte. Noch vor meinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr hatte ich genug beiseite geschafft, um Anteilseigner eines Schiffs zu werden. Kurz darauf erbte ich etwas Geld, zahlte meine Partner aus und besaß bereits mit neunundzwanzig Jahren mein eigenes Schiff. Du meine Güte, ich höre mich schon wie eine Postwurfsendung für Fernkurse an! Entschuldigen Sie bitte.
Egal, schon bald lief alles ganz prächtig für mich, und das trotz der Kriege und der spanischen Zollabgaben – wie Sie vielleicht wissen, standen die Spanier damals stark in der Verantwortung der Niederländer, was direkt mit dem Grafen von Leicester und dem Herzog von Parma und diesen ganzen Typen zusammenhing –, und ich hatte mich schon darauf eingestellt, mit fünfunddreißig Jahren in Rente zu gehen, als mich ein schwerer Schicksalsschlag ereilte. Zwei schwere Schicksalsschläge. Der erste war, daß der Jutepreis im selben Augenblick in den Keller ging, als mein Schiff gerade bis zum Rand mit dem Zeug vollgestopft war. Ich hatte meinen letzten Liard in Jute gesteckt, und plötzlich wurde ich sie nicht mehr los. Ich hab sie überall in Spanien und Portugal feilgeboten, und die Leute guckten mich nur an, als wollte ich ihnen sauer Bier andrehen. Es war schon verrückt; einen Tag zuvor bettelten einen noch wildfremde Leute auf der Straße an, ihnen Jute zu verkaufen, und am nächsten Tag wollte niemand mehr etwas davon wissen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt weiß, was Jute ist. Ich weiß nur, daß es mir egal ist.
Danach ereilte mich ein zweiter Schicksalsschlag, und zwar direkt vor Cádiz. Ich stieß auf See zufällig auf den berühmten Francis Drake, der gerade unterwegs war, um dem spanischen König die Leviten zu lesen. Haben Sie von Francis Drake schon mal was gehört? Ja? Gut.
Als ich eben gesagt hab, daß man die Jute nirgendwo an die Leute bringen konnte, hab ich etwas übertrieben, denn in Wirklichkeit bin ich sie losgeworden. Allerdings mußte man mich erst dazu überreden. Den letzten Ausschlag gab wahrscheinlich die Art und Weise, in der Sir Francis längsseits ging und mir sagte, er werde mich vom Wasser pusten, wenn ich ihm nicht meine gesamte Fracht herausgäbe.
Danach blieb mir nicht viel mehr übrig, als mir einen hinter die Binde zu kippen und abzuwarten, bis Sir Francis mit der Bombardierung des Hafens fertig war. Aber selbst das war wegen des Bombardements und der ganzen Randerscheinungen nicht mal so einfach – das Niederschmetterndste an den Inhabern einer Schankkonzession ist, daß sie sofort in Deckung gehen, sobald sie Schießpulver riechen oder auch nur die kleinste Rauchwolke sehen. Aber schließlich entdeckte ich eine Spelunke, die noch nicht bis auf die Grundmauern abgebrannt war und wo man sich sogar bereit erklärte, mir etwas Alkoholisches zu verkaufen.«
Der Fremde hielt an dieser Stelle inne und blickte in sein leeres Glas, aber der junge Deutsche verstand den Hinweis nicht – er schien wie gefesselt zu sein, und der Fremde setzte seine Geschichte fort.
»Als ich dort schon eine ganze Weile herumgehangen hatte, ich weiß nicht wie lange, kam ein Mann herein und setzte sich neben mich. Es ist schon merkwürdig, auf welche Weise sich die Leute in Kneipen neben mich setzen – das war natürlich nicht abfällig gemeint, Gott bewahre! Jedenfalls hatte er so eine große Truhe dabei, eine Art Lattenkiste, und offensichtlich war er von dem ewigen Herumgeschleppe bereits völlig am Ende. Ein großer, hagerer Typ mit einer Nase wie ein Vorschlaghammer, etwa in Ihrem Alter, vielleicht auch ein, zwei Jahre älter. Ich hab ihn für einen Spanier oder Italiener gehalten – mit Abstrichen könnte er auch ein Franzose gewesen sein. Jedenfalls ein südländischer Typ. Er sah noch erbärmlicher aus, als ich mich damals selbst gefühlt hab. Und ich kann Ihnen sagen, hätte er nur
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