Der Fliegende Holländer
daß wir praktisch alle Holländer waren? Nun, wenn man also mit zwanzig Holländern und einem Schotten mitten auf dem Wasser treibt und zum Trinken nichts anderes als schales. Bier an Bord hat, dann hält man das geeignete Rezept für die Entstehung von Unstimmigkeiten in den Händen.
In der zweiten Hälfte des folgenden Tages empfanden wir bereits weit mehr als normalen Durst, und gegen Abend wimmelte es auf dem Schiff von ausgetrockneten Seeleuten, die allesamt nach heimlich angelegten Biervorräten suchten. Ich sollte hinzufügen, daß ich auch dazugehörte. Ich hatte so eine Ahnung, daß die Lösung für das Rätsel der Transmigration der Elemente nicht das einzige war, was Fortunatus Magnus in seinem Gepäck mit sich führte. Sie müssen nämlich wissen, daß er der einzige an Bord war, dem die Bierkrise nichts anzuhaben schien. Als der Erste Maat ihn darüber unterrichtete, antwortete er nur ›Na und?‹. Wie Sie zugeben müssen, klang das verdächtig.
Als ich seine große Kiste aufgebrochen hatte – dazu bedurfte es nur fünf oder sechs Axthiebe –, wurde mein Verdacht bestätigt. Drinnen war eine riesige Korbflasche, ordentlich in Stroh verpackt und etwa bis zur Hälfte mit einer unglaublich lecker aussehenden goldbraunen Flüssigkeit gefüllt. Die Reste vom Deckel packte ich wieder auf die Kiste und machte mich dann auf die Suche nach einer stillen Ecke und einem Krug.
Der Krug war kein Problem, aber die einzige stille Ecke, die es auf meinem Schiff gibt, ist mehr oder weniger der Ausguck, deshalb pflege ich dort eine Menge Zeit zu verbringen. Aber an jenem Tag war es dort alles andere als still, da direkt unter dem Ausguck das Bierfaß steht und sich einige unverbesserliche Optimisten drumherum versammelt hatten, um das widerwärtige Gebräu mit Seetang und Fischmehl zu verfeinern. Ich zog die Strickleiter hinter mir hoch, entkorkte die Korbflasche und schenkte mir etwas von der Flüssigkeit ein.
Zunächst schmeckte das Zeug merkwürdig, aber es hatte das gewisse Etwas, und nach dem dritten Krug fühlte ich mich schon sehr viel entspannter. Und gerade als ich mich mit der Welt wieder in Einklang befand, kam dieser Alchimist auf Deck. Er sah fuchsteufelswild aus, wie ein wütender Kormoran mit aufgerichteter Kopfhaube. Ich glaubte natürlich zu wissen, warum, aber das war mir mittlerweile völlig egal.
Er brüllte überall herum, jemand habe seine Kiste aufgebrochen und etwas sehr Wertvolles daraus gestohlen. Ich grinste natürlich vor Vergnügen breit übers ganze Gesicht. Außer mir schien ihn niemand zu beachten, weil gerade zwei Besatzungsmitglieder noch eine Tasse Seetang in das Bierfaß geschüttet hatten und alle gebannt zuschauten, ob aus dem Gebräu doch noch etwas Gutes würde. Komisches Zeug, dieser Seetang. Aber nahrhaft. Wenn man ihn kocht, fügt man als Grundlage Fischgräten hinzu, ich hab allerdings nicht die blasseste Ahnung, warum … Entschuldigung, aber Sie haben ja recht, ich neige hin und wieder dazu, vom Thema abzuweichen. Wahrscheinlich geschieht das bei mir völlig unbewußt.
Ich vermute, irgendwann muß den Alchimisten der Mut verlassen haben, denn nach einer Weile hörte er zu schreien auf, lehnte sich mürrisch gegen die Reling, murmelte etwas auf lateinisch vor sich hin und schnaubte wütend durch die Nase. Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß er einen gewaltigen Zinken hatte? Egal. Jedenfalls verspürte ich aufgrund meiner allgemeinen Stimmung das dringende Verlangen – und ich räume gern ein, daß das ein schwerer Fehler von mir war –, den Alchimisten ganz genau darüber in Kenntnis zu setzen, was aus seinem sorgsam gehüteten Schatz geworden war. Schließlich ist Egoismus wirklich verwerflich, und dieser Lump hatte nicht einem einzigen von uns angeboten, wenigstens mal am Korken zu schnüffeln. Ich lehnte mich also aus dem Ausguck und winkte ihm von oben johlend mit der Korbflasche zu.
In Anbetracht der Menge ihres Inhalts, von dem ich bereits einiges intus hatte, war das Winken mit der Flasche keine kluge Entscheidung. Wie ich schon sagte, war sie sehr groß, und kaum hatte ich sie hochgehalten, damit der Alchimist sie sehen konnte, merkte ich, wie sie mir aus den Händen glitt. Zwar unternahm ich noch einen verzweifelten Versuch, sie wieder fest in den Griff zu bekommen, aber ich erreichte dabei lediglich, daß ich den gesamten Inhalt verschüttete, der sich wie ein hochprozentiger Regenbogen in einem prächtigen Goldstrahl über das ganze Deck
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