Der Fliegende Holländer
anzudrehen.‹
Zu diesem Zeitpunkt sagte mir mein angeborenes Mißtrauen, daß sich bei Alchimisten, die man zum Ausklang eines langen und beschwerlichen Tages in Wirtshäusern antrifft, sehr schnell herausstellt, daß sie überhaupt keine Alchimisten sind. Erst recht nicht, wenn sie womöglich am Schluß versuchen, sich Geld zu leihen oder einem zum Schleuderpreis einen Klumpen Gold zu verkaufen. Aber dieser Kerl hatte irgend etwas Überzeugendes an sich – wahrscheinlich lag es daran, daß er es erst gar nicht versuchte hatte, mich zu überzeugen. Verstehen Sie zufällig, worauf ich hinaus will?«
Der junge Deutsche nickte. Er verstand ihn nur zu gut.
»Also sagte ich ihm, daß es mir ein Vergnügen sei, ihn nach England zu bringen, wenn er sich am nächsten Morgen mit fünftausend Dublonen am Kai blicken ließe. Danach hab ich mich woanders hingesetzt, um mich in einer etwas weniger exzentrischen Gesellschaft zu besaufen. Damit war ich so erfolgreich – Besäufnisse zählen nun einmal zu meinen unangefochtenen Spezialitäten –, daß ich am nächsten Morgen erst relativ spät hochkam. Ich dachte mir, daß der Alchimist, selbst wenn er die Verabredung eingehalten hatte, längst aufgegeben und wieder weggegangen sein mußte. Aber als ich gegen halb zehn über den Kai ging – ich hatte noch ein paar geschäftliche Dinge in der Stadt zu erledigen gehabt –, stand er noch immer da. Er wirkte sehr nervös und motzte mich an, warum ich so spät gekommen sei.
Ich erzählte ihm von meinem schrecklichen Kater, aber das interessierte ihn nicht sonderlich. Statt dessen schien er ausgesprochen begierig darauf zu sein, mir eine Unmenge ausgesprochen echt aussehender Goldmünzen zu zeigen, und ich kam zu dem Schluß, daß er, selbst wenn er ein Irrer war, immerhin ein reicher Irrer war. Außerdem faßte ich den Entschluß, daß er, wenn er denn unbedingt nach Bristol wollte, von mir dorthin gebracht werden sollte. Ich fürchtete nämlich, daß irgendein skrupelloser Mensch auftauchen könnte, der unter Ausnutzung der seelisch angeschlagenen Situation dieses bedauernswerten Mannes womöglich sechstausend Dublonen oder mehr von ihm fordern würde.
Meine Besatzung war alles andere als begeistert, so schnell wieder in See stechen zu müssen, und als ich meinen Leuten sagte, daß wir nach England fahren würden, hagelte es von allen Seiten abfällige Bemerkungen bezüglich meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit.
Sie wiesen mich völlig zu Recht darauf hin, daß Sir Francis Drake ein Engländer sei, genauso wie John Hawkins und Black Jack Norris, und daß sie es alles andere als eilig hätten, ein Land zu besuchen, das solch widerwärtige Gestalten hervorgebracht hatte. Sie waren sogar so sehr dagegen, daß ich mich zu dem außergewöhnlichen Schritt gezwungen sah, ihnen die Heuer im voraus zu bezahlen, bevor sie auch nur zu einem einzigen Handschlag bereit waren.
Dabei stellte sich ihre Angst als völlig unbegründet heraus. Sir Francis und seine lustige Gefolgschaft waren viel zusehr damit beschäftigt, ehrenwerte Kaufleute aus Puental zu vertreiben, als daß sie Zeit gefunden hätten, uns zu belästigen. Zudem trieb uns ein ungewöhnlich günstiger Wind bis zur Mündung des Bristol Channel.«
Der Fremde zögerte kurz und sagte dann: »Wahrscheinlich interessiert Sie der Rest der Geschichte gar nicht. Ich halte es für besser, wenn wir uns wieder über Könige unterhalten. Nehmen wir zum Beispiel Karl den Großen. Wußten Sie eigentlich, daß Karl der Große erst mit vierzig lesen gelernt hat?«
»Karl der Große ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal«, wehrte der junge Deutsche ungeduldig ab. »Erzählen Sie bitte weiter.«
»Ich unterhielte mich viel lieber über Karl den Großen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Glauben Sie mir, ich hab dafür meine Gründe.«
Der junge Deutsche ließ ein paar abfällige Bemerkungen über Karl den Großen vom Stapel, und der Fremde zuckte nur mit den Achseln und fuhr mit seiner Geschichte fort.
»Danach ging alles schief. Der ungewöhnlich günstige Wind legte sich. Uns blieb nichts anderes übrig, als mitten auf dem Wasser zu treiben und Wales zu betrachten, was ich nicht weiter kommentieren möchte, es sei denn, Sie interessieren sich zufällig über alle Maßen für geologische Strukturen. Um alles noch schlimmer zu machen, war irgend etwas Unappetitliches in das Bierfaß geraten, und wenn man zwanzig Holländer auf einem Schiff hat, dann … Hab ich überhaupt schon erwähnt,
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