Der Fliegende Holländer
fehlte einfach die Überzeugungskraft.
»Ich erkläre es Ihnen gern«, bot ihr Mr. Gleeson an. »Es gibt noch etwas, das wir über den Fliegenden Holländer wissen – er stinkt, und zwar furchtbar. Haben Sie schon mal was von der Marie Celeste gehört?«
Jane nickte.
»Die National Lombard gehörte zu der Gesellschaft, bei der das Schiff versichert war; deshalb hat sie eigene Nachforschungen zum Schiffsuntergang angestellt und dabei den einzigen Überlebenden gefunden.«
»Oh.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte ihr Mr. Gleeson zu. »Sobald der Filialleiter von dem Vorfall Wind bekam, pfiff er alle Beteiligten zurück und sprach persönlich mit dem Mann, kurz bevor dieser an akuter Verwirrung starb. Der Mann berichtete, die ganze Besatzung habe so dagesessen, ohne an etwas Böses zu denken, als auf einmal dieses altmodische Segelschiff längsseits gekommen sei. Dann war da dieser Gestank, erzählte der Überlebende. Der war so übel, sagte er, daß alle Mann über Bord sprangen und im Meer ertranken, außer ihm natürlich. Das altmodische Segelschiff fischte ihn kurz vorm Ertrinken auf und nahm ihn an Bord. Er blieb drei Wochen an Bord und wurde dann an Land gesetzt. Er hat den Geruch in allen Einzelheiten beschrieben, wodurch es dieser Teil des Berichts auf vierhundertneunundsiebzig Seiten bringt. Sie sehen also, der Geruch hat ziemlichen Eindruck gemacht. Es stellte sich jedenfalls heraus, daß der Kapitän des Schiffs Vanderdecker hieß. Da das kein häufiger Name ist und die gesamte Besatzung nach Aussage des Überlebenden Kostüme aus dem sechzehnten Jahrhundert trug, ist die Annahme nur recht und billig, daß er es war. Außerdem hat es seitdem noch weitere Vorfälle gegeben, die die Geschichte bestätigen, aber die Namen würden Ihnen nichts sagen, weil sich diese Ereignisse an entlegenen Orten zugetragen haben und es der Bank geglückt ist, sie beizeiten zu vertuschen. Unbestrittene Tatsache aber ist: Vanderdecker riecht so furchtbar, daß es niemand in der weiten Welt länger als ein paar Sekunden in seiner Nähe aushalten kann. Und an diesem Punkt«, erklärte Mr. Gleeson, »kommen Sie ins Spiel.«
»Ach so«, sagte Jane, inzwischen zum viertenmal.
»Was wir von Ihnen möchten«, fuhr Mr. Gleeson fort, »ist folgendes: Sie sollen Vanderdecker ausfindig machen und vernünftig mit ihm reden. Erklären Sie ihm, daß ihm das alles überhaupt nichts nützt. Handeln Sie mit ihm den Tausch der Police gegen eine Rente aus. Eine Million Pfund – oder eine ähnliche Summe – pro Jahr auf Lebenszeit. Das würde sich lohnen, und die Bank kann es sich leisten. Sie würden natürlich auf Provisionsbasis bezahlt.«
»Aber wie soll ich ihn finden?« fragte Jane. »Wenn das möglich wäre, hätten Sie das doch bestimmt schon lange geschafft.«
»Wir haben uns bisher nicht getraut, so ein Wagnis einzugehen«, erwiderte Mr. Gleeson. »Um Vanderdecker zu finden, hätten wir zu vielen Leute zuviel vom Geheimnis verraten müssen. Viel zu riskant. Knalltütenwette. Es kann sich nur jemand wie Sie auf die Suche machen, weil Sie das Geheimnis ja bereits kennen. Und Sie kennen es nur, weil ich Sie eingeweiht hab, und ich hab Sie nur deshalb eingeweiht, weil Sie keinen Geruchssinn haben. Können Sie mir folgen?«
»Ich glaube schon«, antwortete Jane. »Jedenfalls mehr oder weniger. Vielleicht hab ich auch schon eine Spur.« Sie berichtete ihm vom Lower Brickwood Farm Cottage und den Rechnungen. Als sie ihm alles erzählt hatte, nickte Mr. Gleeson und lächelte, und zwar mit dem ›Sie-dürfen-mich-von-nun-an-Bill-nennen‹-Lächeln, das er sich normalerweise für Ministerpräsidenten vorbehielt.
»Sie werden uns also helfen?« fragte er. »Sollten Sie Erfolg haben, können Sie Ihr Honorar natürlich selbst festlegen.«
»Also …« Jane zögerte, da sie noch starke Zweifel hegte. Wenn sie den Auftrag annähme, müßte sie nach einer Möglichkeit suchen, sich mit dem abzufinden, was man ihr gerade erzählt hatte. Das wäre nicht einfach, bei weitem nicht. Auf der anderen Seite – wenn sie alle materiellen Umstände in Erwägung zog und das besondere Augenmerk auf den Teil der Vorschriften richtete, in dem überhaupt nichts über die Nichteinweisung von Menschen in Irrenanstalten stand, spürte sie, daß ihr nicht viel anderes übrigblieb.
»Also gut«, willigte sie schließlich ein.
Mr. Gleeson strahlte sie an. »Das ist die richtige Einstellung!« freute er sich. »Der Strumpf sei mit Ihnen.«
6.
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