Der Fliegende Holländer
KAPITEL
»Mein Gott, nun sei doch mal ein bißchen fröhlich!« rief der zweite Mann in Quincy’s Restaurant mit vollem Mund. »Du verdirbst mir noch den ganzen Appetit an meiner Spargel-Quiche.«
Sein Begleiter blickte böse auf den Bierdeckel unter seinem Glas. Aus Gründen, deren Aufzählung an dieser Stelle unsinnig wäre, wußte er, daß die vergnügliche kleine Zeichnung eines biertrinkenden Wikingerkriegers auf dem Pappdeckel völlig falsch war. Aber deshalb war er nicht einmal so wütend.
»Ich hab aber keine Lust, fröhlich zu sein«, entgegnete er. »Findest du nicht, daß Fröhlichkeit gerade jetzt fehl am Platz ist?«
Spannung ist in der Literatur nur dann ein legitimer Kunstgriff, wenn man sie auch verantwortungsbewußt einsetzt. Deshalb sollten Sie jetzt wissen, daß der Name des zweiten Mannes Gerald lautet.
»Du bist schon immer so ein elender Trauerkloß gewesen«, erwiderte Gerald, der kurzfristig nichts zwischen den Kiefern zum Kauen hatte. »Schon als Kind hattest du so ein Talent, alles immer nur schwarzzusehen. Wozu soll das gut sein? Kannst du mir das mal verraten?«
»Es ermöglicht mir, im Einklang mit meinem Karma zu leben«, antwortete Geralds Freund. »Im Moment macht mir mein Karma so viel Spaß wie ein Stau auf der M 6, und deshalb bin ich so schlecht drauf. Wenn ich jetzt gute Laune haben soll, könnte ich schweren geistigen Schaden nehmen.«
»Ulkig, daß du gerade die M 6 erwähnst«, sagte Gerald. »Ich hab neulich drei Stunden – drei geschlagene Stunden meines Lebens – zwischen den Ausfahrten vier und fünf gestanden. Und weißt du, was der Grund dafür war? Das Auswechseln irgendeiner Leuchtstoffröhre in einer dieser komischen Straßenlaternen. So was ist doch wirklich zum Heulen, absolut zum Heulen.«
»Erzähl mir ruhig alles, was du über die M 6 weißt«, grummelte Geralds Freund. »Ich glaub, das ist für meinen Rausschmiß ungeheuer sachdienlich.«
»Du bist doch gar nicht rausgeflogen«, widersprach Gerald. »Wie oft muß ich dir das eigentlich noch sagen? Die lassen dich nur so was wie ’nen kleinen Abstecher machen, das ist alles. Das passiert schließlich jedem mal. Ich mußte das letztes Jahr doch auch machen. Dadurch bin ich erst zu dem geworden, was ich heute bin.«
»Sag mal, Gerald, seit wann kennen wir uns eigentlich?«
Gerald überlegte kurz. »Das ist ’ne gute Frage.« Er legte die Gabel hin und rechnete mit den Fingern. »Laß mich mal nachdenken. Dreiundsiebzig war’s, oder? Siebzehn Jahre. Du meine Güte, wie schnell die Zeit vergeht!«
»Ich kenn dich jetzt seit siebzehn Jahren?«
»Sieht ganz so aus.«
»Warum?«
Gerald runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Warum?« wiederholte sein Freund wütend. »Ich meine, welchen Sinn hat das alles? Siebzehn Jahre lang haben wir uns regelmäßig getroffen, uns gegenseitig Postkarten aus Griechenland geschickt, uns abwechselnd zu Partys eingeladen und zusammen gegessen. Da müßte man doch eigentlich glauben, daß es einem irgendwas bedeutet, und man sollte außerdem annehmen, daß wir uns im gegenseitigen Verständnis wenigstens ein Stückchen nähergekommen sind. Aber da sitzt du jetzt, trinkst ’n Glas Wein, das ich bezahlt hab, und erzählst mir allen Ernstes, daß meine Versetzung von der Tagespolitik in die Sportredaktion nur ein kleiner Abstecher sei.«
»Na, das ist es doch auch!« bekräftigte Gerald; mittlerweile hatte er sich an solche Vorfälle derart gewöhnt, daß er sie überhaupt nicht mehr ernst nahm. »Es sehen nun mal mehr Leute Sport als politische Sendungen, das ist allgemein bekannt. Nenn es von mir aus Beförderung. Kannst du mir vielleicht Karten für Wimbledon besorgen, was meinst du?«
»Was ist denn Wimbledon?« fragte sein Freund.
Gerald runzelte die Stirn; es machte ihm nichts aus, wenn Danny versuchte, witzig zu sein, bei Blasphemie hörte der Spaß allerdings auf. »Die Sitzplätze können sich von mir aus sogar hinter irgend ’ner Säule oder so was befinden. Dabeisein ist schließlich alles.«
Danny Bennett hörte ihm gar nicht zu. »Ich wär mit allem spielend fertig geworden, aber nicht mit Sport. ›Du und dein Garten‹, ›Die schönsten Kreisverkehre Großbritanniens‹, ›Antiquitäten auf Wanderausstellung‹. Du kannst mir vorsetzen, was du willst, und meine eisernen Nerven bleiben stark wie Drahtseile. Aber Sport? Nein! Da ist bei mir Schluß.«
»Na ja, du hast ja nie viel für Sport und Spiele übrig gehabt«, sinnierte Gerald,
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