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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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eingeführt, aber dort scheint es nicht besonders gut funktioniert zu haben.«
    »Und worum handelt es sich jetzt bei dem Geheimnis genau?« fragte Jane.
    »Dazu komm ich gleich«, antwortete der Seniorchef. »Ich hab es nur so lange wie möglich rauszuschieben versucht, weil es so … so albern ist. Ich glaube, so müßte man es nennen, wenn man schonungslos ehrlich sein wollte. Ich hab jetzt dreißig Jahre lang mit diesem Geheimnis gelebt. Mein gesamtes Leben und mein phänomenaler beruflicher Erfolg sind auf diesem Geheimnis aufgebaut, und ich hab es noch nie jemandem erzählen müssen.«
    Jane blickte ihm in die Augen. Er tat ihr leid. »Sie können mir ruhig alles anvertrauen«, tröstete sie ihn.
    »Danke«, entgegnete Mr. Gleeson. Er war wahrscheinlich ganz nett, wenn man ihn näher kennenlernen würde – falls man bereit war, die Zeit dafür zu opfern.
    »Die Police, die der Filialleiter Kapitän Vanderdecker – der besagte Schiffskapitän hieß nämlich Vanderdecker – verkaufte, war eine ganz normale Standardpolice, speziell abgestimmt auf die Bedürfnisse – oder eher die Leichtgläubigkeit – von Schiffskapitänen. Man hatte die Wahl zwischen der Entrichtung regelmäßiger Prämien oder einer einmaligen Pauschalprämie. Schiffskapitäne hatten zu jener Zeit Schwierigkeiten mit der Entrichtung regelmäßiger Prämien, weil sie nur selten wußten, wo sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen dem einen Jahresende und dem nächsten gerade aufhielten. Im Todesfall wurde dem oder der Begünstigten eine Garantiesumme ausgezahlt. Das war nicht gerade ein Vermögen, hielt aber die Liebste über Wasser, bis ihr die Pest oder die Inquisition den Gnadenstoß versetzte. Da es zu jener Zeit noch keine Einkommensteuer gab, war die Summe garantiert steuerfrei.
    Der Haken an der Sache war folgender: Da das Kapitänsgewerbe damals zu den riskantesten Berufszweigen überhaupt zählte, stand so gut wie fest, daß der Versicherungsnehmer keine sechzig Jahre alt werden würde. Das ist der Teil, wo der Begriff Knalltütenwette ins Spiel kommt. Wegen dieser versicherungsmathematischen Halbgewißheit enthielt die Police die Sondervereinbarung, daß die garantierte Versicherungssumme – die Auszahlungssumme also – jedes Jahr um fünfzig Prozent steigt, falls das versicherte Leben des Kunden – der Knalltüte also – länger als fünfundsiebzig Jahre währte. Fünfundsiebzig, wohlgemerkt! Diese Fugger gingen kein Risiko ein! Diese Steigerungsklausel war ein phantastischer Kaufanreiz, die Altersbeschränkung tauchte allerdings nur in ganz winziger Schrift auf der Rückseite der Police auf, genau unter dem Siegel, wo man nicht im Traum danach suchen würde. Von diesen Policen verkauften die Fuggers Zehntausende. Für jede Knalltüte, die sechsundsiebzig wurde, gab es neunhundertneunundneunzig, die das nicht schafften.«
    Mr. Gleeson schwieg und saß eine Zeitlang sehr still da, so still, daß Jane Angst hatte, irgendeine Bemerkung zu machen. Um zwei Uhr morgens ist es in einem schalldicht isolierten Büro im fünfzehnten Stock eines Geschäftshauses wirklich extrem still.
    »Da wir gerade von Knalltütenwetten sprechen«, fuhr Mr. Gleeson schließlich fort, »diese hier war auf jeden Fall die allerbeste. Kapitän Vanderdecker ist nämlich nicht gestorben. Er hat einfach weitergelebt. Niemand weiß, warum. Es gibt alle möglichen an den Haaren herbeigezogene Geschichten, mit denen ich Sie aber nicht langweilen möchte, weil ich Ihre Gutgläubigkeit sowieso schon bis zum äußersten strapaziert haben muß. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß Vanderdecker nicht gestorben ist. Er ist heute noch am Leben, über vierhundert Jahre später. Vergessen Sie bitte nicht, es geht um den Prämienzuschlag. Wir haben einmal auszurechnen versucht, wie hoch die Auszahlungssumme inzwischen sein müßte, aber das konnten wir gar nicht, denn soviel Geld gibt es im wahrsten Sinne des Wortes auf der ganzen Welt nicht.
    Wenn Vanderdecker also stirbt, verläuft die ganze Geschichte wieder rückwärts. Sämtliches Geld, das in den Strumpf geflossen ist – und das ist jeder Penny, den es überhaupt gibt – muß wieder raus und geht in Mr. Vanderdeckers Besitz über. Das ist natürlich unmöglich, und deshalb könnte die Bank ihrer Verpflichtung nicht nachkommen – sie müßte sich davor drücken, den Gewinn aus einer Knalltütenwette auszubezahlen. Das wär’s dann. Das Ende der Zivilisation in der uns bekannten Form. Sie wissen so

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