Der Fliegende Holländer
Entscheidung ohne Rückfrage bei der Hauptverwaltung zwischen den Ohren zu treffen. Sobald das Bewußtsein seine Autorität wieder geltend gemacht hatte, suchte er nach einem klumpigen Brei aus Fleisch und Knochensplittern. Statt dessen sah er einen schlechtgekleideten Mann vom Deck aufstehen, der anscheinend unverletzt geblieben war und nun einem zweiten Mann etwas zurief. Durch seine Kleidung hatte der zweite Mann ebenfalls etwas von der befreienden Komik der Gestalten im Kaufmann von Venedig an sich – an deren Namen sich Danny leider nie erinnern konnte. Allerdings trug er statt eines Wamses ein Dire-Straits-T-Shirt und zusätzlich einen breiten Ledergürtel, an dem ein Schwert und ein Morgenstern hingen. Wie bei einer Inszenierung des Kaufmanns von Venedig auf einer Ritterburg, entschied Danny.
»He, du da!« schrie der Mastspringer. »Ich will mit dir reden.«
Der schwerbewaffnete Mann wandte den Kopf und fragte: »Sprichst du mit mir?«
»Und ob ich mit dir spreche.« Der Mastspringer deutete auf einen der vielen Risse in seinem Wams. »Sieh dir das mal an.«
»Ich seh’s«, erwiderte der zweite Mann. »Was ist damit?«
»Das ist deine Schuld«, schimpfte der Mastspringer wütend.
»Ach, wirklich?« Der zweite Mann schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. »Wie kommst du darauf?«
»Hör mal, du bist hier doch wohl der Schiffszimmermann. Folglich ist es deine Aufgabe sicherzustellen, daß es keine vorstehenden Nägel gibt, an denen sich die Leute bei jedem Sprung die Klamotten aufreißen können.«
Der zweite Mann lachte höhnisch. »Jetzt paß mal auf, du Witzbold! Wenn du nicht ständig da runterhüpfen würdest, müßte ich nicht alle naselang diese bescheuerten Planken wieder festnageln. Dann gäbe es überhaupt keine Nägel, kapiert?« Er kam mit dem Kopf immer näher auf den Mastspringer zu, bis sich ihre Nasen fast berührten. Aus irgendeinem Grund wurde Danny dabei an die Sixtinische Kapelle erinnert, obwohl es dort keine Nasen, sondern Finger sind.
»Erzähl mir doch nicht so ’n Scheiß«, fauchte der Mastspringer den Schiffszimmermann an. »Deine schludrige Arbeit steht mir bis hier, und wenn …«
»Willst du behaupten, ich verstehe nichts von meinem Handwerk?« erkundigte sich der bewaffnete Mann mit zorniger, aber ruhiger Stimme.
»Ja.«
Mit einer so schnellen Armbewegung, daß Danny nur den von ihr in der Luft beschriebenen Bogen sah, riß der Zimmermann den Morgenstern aus dem Gürtel und schlug ihn mit abartiger Wucht auf den Kopf des Mastspringers. Diesmal blieben Dannys Lider dort, wo sie waren. Das gleiche tat unglaublicherweise auch das Hirn des Mastspringers. Genau in diesem Moment kam ein weiterer dieser eigenartigen Menschen herbeigerannt. Auch er war in einer Art angezogen, die einen nachdenklich stimmen konnte, doch Danny nahm die Kleidung erst gar nicht in Augenschein.
»Laßt das, ihr beiden!« befahl der dritte Mann. »Seht ihr nicht, daß wir Besuch haben?«
Die beiden Kämpfer drehten sich um und lächelten Danny verlegen an, der das Lächeln erwiderte.
»Es ist alles in Ordnung!« rief der dritte Mann Danny zu. »Die beiden haben wie üblich nur herumgeblödelt.«
Es war das ›wie üblich‹, das Danny Sorgen bereitete. Er spürte, wie sich sein Mund öffnete und das Kinn fast mit dem Hals verschmolz; das war immer ein schlechtes Zeichen.
»Ist schon in Ordnung«, stammelte er. »Lassen Sie sich durch mich nicht stören.«
Die drei Männer musterten ihn kurz und kamen dann zu ihm herüber. Danny versuchte zurückzuweichen, aber hinter ihm lag ein großer Stapel aufgerollter Seile, und für einen weiteren Rückzug war kein Platz mehr.
»Mein Name ist Danny Bennett«, stieß er ängstlich hervor. »Ich arbeite für die Sportredaktion der BBC.«
Diese Bemerkung hatte eine etwas geringere Wirkung als ein Luftgewehr in einem Artilleriegefecht, und Danny wünschte, er hätte lieber überhaupt nichts gesagt. Die drei eigenartigen Menschen blickten sich gegenseitig an. Dann streckte einer der Männer ihm die riesige rechte Hand entgegen, die Danny sofort ergriff. Sie war außen stark behaart und fühlte sich innen wie grobkörniges Schmirgelpapier an.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte der Mann, der den Kampf unterbunden hatte. »Ich bin Antonius. Das hier« – er deutete auf den Mastspringer – »ist Sebastian, und das da« – der gemeingefährliche Irre mit dem großen Schwert – »ist Jan.«
Danny lächelte zwar, als würde ihm gerade eine
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