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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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überhaupt nichts anfangen kann, hat Vanderdecker über die Jahre genügend Forschungsmaterial für eine endgültige Studie über die Erbanlagen der Gattung ›Seefahrer‹ gesammelt. Aber das einzige, was sich ihm davon ins Bewußtsein gebrannt hat, ist die Tatsache, daß seit 1716 jeder einzelne Jeanes auf genau dieselbe Weise stets mit einem Aha antwortet.
    »So ist es«, fährt Vanderdecker dann fort. »Im Moment liegt es gerade in der kleinen Bucht auf dem halben Weg nach Burton. Könnten Sie dort hinkommen und sich das Schiff ansehen?«
    Die unabänderliche Antwort auf diesen Vorschlag lautet stets ›Nein‹. Falls es jedoch in dem jeweiligen Vierteljahrhundert ein verirrtes Freundlichkeitsproton durch eine ausgelassene Laune der Genetik geschafft haben sollte, sich in die Jeanes-DNS einzuklinken, dann folgt auf das ›Nein‹ noch eine gemurmelte Entschuldigung, man stecke derzeit zu sehr in Arbeit; was man allerdings niemals allzuernst nehmen sollte. In Wahrheit nämlich glauben die Angehörigen des Jeanes-Stamms in ihrem tiefsten kollektiven Unterbewußtsein, daß die Welt außerhalb der Werft von Werwölfen bevölkert ist – besonders wenn man sich weiter als Eype wagt. Folglich bemühen sie sich, den Burghof ihrer Festung so selten wie möglich zu verlassen. Einmal pro Woche zur Bank ist schon reichlich oft. Nee danke, noch häufiger muß nun wirklich nicht sein.
    »Na schön«, pflegt Vanderdecker als nächstes zu antworten. »Ich glaube, dann bring ich das Schiff wohl besser hierher. Eigentlich muß nicht allzuviel gemacht werden«, fügt er hinzu, »bloß ’ne Generalüberholung, wenn Sie das einrichten können.«
    Hierauf erfolgt nur selten eine Antwort von einem Jeanes. Vanderdecker verläßt die Werft und kehrt mit einer Galeone aus dem sechzehnten Jahrhundert zurück. Und an diesem Punkt fängt der Spaß an.
    »Hier ist das gute Stück«, sagt Vanderdecker dann, woraufhin der betreffende Jeanes mit seinen kleinen frettchenartigen Augen das Schiff anstarrt und nichts entgegnet. Wir haben jetzt die Phase der unverlangten Erklärungen erreicht, den kniffligsten Teil des gesamten Unternehmens. Der Trick dabei ist, nicht so auszusehen, als ob man irgend etwas zu erklären hätte, und das erreicht man am besten durch Prahlerei. Vanderdeckers beliebtester Schachzug ist so etwas in der Richtung wie: »Ich wette, an so einem Schiff haben Sie noch nie gearbeitet, oder?«
    Das Zucken einer Augenbraue von Jeanes pflegt diese Frage mit einem Nein zu beantworten, und schon sind wir aus dem Schneider. Wir erklären, was die Verdomde ist: entweder a) ein Filmrequisit; oder b) das Spielzeug eines Reichen; oder c) der wichtigste Bestandteil eines auf zehn Jahre geplanten Projekts der historischen Fakultät der Universität von Chicopee Falls, mit dem bewiesen werden soll, daß Kolumbus ein Lügner war; oder d) die gesamte Seestreitmacht Monte Carlos; oder e) der Hauptdarsteller einer Werbeaktion für Fischstäbchen. Das hängt ganz davon ab, was der jeweilige Jeanes wohl am ehesten glaubt. Von diesem Punkt an muß man nur noch warten, bis die Arbeit getan ist, und sich danach wohl oder übel von einem riesigen Geldbetrag trennen.
    Wegen der Gegenwart so vieler alter Schiffe in der West Bay mußte die Verdomde dieses Jahr noch einmal das Spielzeug eines reichen Mannes sein. In Gedanken probte Vanderdecker schon mal den Spruch, wie diesen ganzen australischen Großkotzen mit ihren Fiberglasrümpfen die Augen übergegangen wären, wenn ihn nicht dieser Sturm erwischt hätte, und Jeanes solle sich das Schiff nur mal ansehen. Die Story war zwar nicht gerade perfekt, würde aber hoffentlich gut genug funktionieren, damit er wieder mit heiler Haut von hier verschwinden könnte. Ein weiteres über die Jahrhunderte beständiges Merkmal der Familie Jeanes ist nämlich ein beachtlicher Mangel an Intelligenz, was wahrscheinlich erklärt, warum sie nach so langer Zeit immer noch im Bootsbaugewerbe tätig ist.
    Mit dem typischen Schulterzucken, das man in Filmen immer wieder bei verwegenen Jagdfliegern oder mutigen Löwenjägern beobachten kann, schritt Vanderdecker auf den Eingang der Werft zu und stieß vor dem Tor mit jemandem zusammen. Dabei sah er in ein Gesicht, das er sofort wiedererkannte. Für den Fliegenden Holländer durchaus kein alltäglicher Vorfall.
    Das letztemal hatte er das Gesicht in Schottland auf der A 9 bei Dounreay gesehen und das Mal davor, wie ihm sein Gedächtnis überflüssigerweise auf die Sprünge

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