Der Fliegende Holländer
im großen Schulbeirat in der Schulzeitung aufzudecken, konnte Danny nicht sagen, ob der Inhalt der Bücher wirklich so anspruchsvoll war, wie die Titel vermuten ließen. Aber er hätte Gift darauf nehmen können, daß weder ›Elemente der Quantenmechanik‹ noch ›Eigenschaften spaltbaren Materials‹ oder ›Dynamik subatomarer Partikel‹ in der Bücherei seines Heimatorts zu finden waren. Wenn beim Korrekturlesen aus einem anderen Wort wie ›haltbar‹ oder ›faltbar‹ nicht nur versehentlich ›spaltbar‹ geworden war, dann handelte es sich dabei um etwas Nukleares, und ›subatomar‹ sprach für sich selbst. Kernphysik! Plötzlich sah Danny, wenn auch noch sehr weit entfernt, einen schwachen Silberstreifen am Horizont.
»Sie beschäftigen sich also selbst ein wenig damit, oder?« unterbrach Cornelius’ Stimme Dannys Träumereien. Es war eine fröhlich klingende Stimme, die durch einen dichten Bart laut nach außen drang.
»Aber wirklich nur ein wenig«, erwiderte Danny vorsichtig. »Quantenmechanik, spaltbare Eigenschaften, so was in der Richtung.«
»Aha.« Cornelius war anscheinend nicht beeindruckt. »Die ganze neumodische Scheiße also, auf die der Käpt’n auch so scharf ist. Langweilig. Ich finde, es geht doch nichts über die althergebrachten Methoden.«
»Halten Sie die wirklich für so gut?« fragte Danny, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging.
Cornelius grinste. »Gut?« kicherte er. »Dann passen Sie mal auf!« Er holte ein Zippo-Feuerzeug aus dem ramponierten Lederbeutel hervor, der an dem breiten Ledergürtel hing, öffnete die Ofentür und hantierte mit einigen der Gefäße herum. »Aber erzählen Sie das bloß nicht dem Käpt’n!« bat er. »Der kann ganz schön stinkig werden, wenn ich seine Sachen anfasse. Aber ich hab das schon oft gemacht, da kann nichts passieren.«
»Ist das wirklich nicht gefährlich?«
»Nein, kinderleicht«, erklärte Cornelius. »Haben Sie irgendwas aus Metall dabei?«
Danny erinnerte sich plötzlich an ein Kinderfest, als er sechs Jahre alt gewesen war. Dort war damals ein Zauberer aufgetreten, der sich am Ende der Vorführung Unmengen von bunten Fähnchen aus den Ohren gezogen hatte. Danny riß sich zusammen und kramte seine Autoschlüssel aus der Tasche hervor. »Können Sie damit was anfangen?« fragte er.
»Ja, prima. Besser geht’s nicht!« freute sich Cornelius. Er nahm die Schlüssel und warf sie in den Schmelztiegel, bevor ihn Danny daran hindern konnte. Auf einen grellweißen Blitz folgte ein schwaches Summen, das sich so anhörte, als stünde man unter einem Hochspannungsmast.
»Der ganze Vorgang dauert jetzt ungefähr dreißig Sekunden«, erläuterte Cornelius. »Dagegen ist Ihre Kernspaltung nur ’n müder Witz, wenn Sie mich fragen.«
Dreißig Sekunden später langte Cornelius unter den Ofen und zog etwas hervor, das wie eine Schöpfkelle aus massivem Gold aussah. Damit holte er nun die Autoschlüssel aus dem Schmelztiegel heraus und hielt sie Danny unter die Nase. Sie waren von einem blauen Licht umgeben und schienen sich in pures Gold verwandelt zu haben. Autoschlüssel aus purem Gold. Es erinnerte Danny an die Zeit, als Gerald ihn durch die Börse geführt hatte.
»Da haben Sie sie wieder«, sagte Cornelius und schüttete Danny die Schlüssel auf die Hand. »Keine Angst, die sind nicht heiß oder so was.«
Danny zuckte zwar zusammen, aber er spürte nichts. Das blaue Licht erlosch. Die Schlüssel fühlten sich unnatürlich kalt und schwer an. Massives Gold. Wie fühlte sich massives Gold an?
»Beeindruckend, was?« fragte Cornelius.
»Sehr beeindruckend«, erwiderte Danny, wobei er noch immer gebannt auf seine Autoschlüssel starrte. In seinem Kopf nahm die Alchimie eine ganz eigenartige und äußerst bedrohliche Gestalt an. Dieser ganze sinnlose Quatsch verwandelte sich in eine Story; eine Story über ungenehmigte, geheime Atomexperimente auf einem von Irren bemannten Schiff. Eine Story! Story! Story! Sollte es ihm irgendwie gelingen, dieses entsetzliche Schiff zu verlassen und ein Telefon aufzutreiben, bliebe ihm auch gleichzeitig das drohende Schicksal erspart, in der Sportredaktion zu versauern. Doch bis dahin war noch eine ganze Menge Enthüllungsjournalismus zu leisten.
»Sagen Sie mal«, fing Danny so beiläufig wie möglich an. Wie hieß dieser Mann noch mal? Der Oberbösewicht der Atomlobby. Der Mann, der hinter den Vorfällen in Dounreay steckt. Da hatte es doch kürzlich eine Demonstration gegeben … »Kennen
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