Der Fliegende Holländer
abliefern, rechtzeitig zur Nachmittagswiederholung von ›Nachbarn‹ wieder zu Hause sein. So einfach könnte alles sein. Vielleicht würde es sich aber auch als sehr viel schwieriger herausstellen, und es wäre klug, sich schon jetzt einige Gedanken über mögliche Komplikationen zu machen. Janes Gedanken schweiften jedoch ab, und sie ertappte sich dabei, daß sie an etwas völlig anderes dachte.
Wie wäre es wohl gewesen, vierhundert Jahre auf einem Schiff zu verbringen? Immer auf demselben Schiff. Immer auf demselben kleinen, unbequemen und unpraktischen Schiff. Hätte es ihr gefallen? Wie sie glaubte, wäre das stark abhängig von der Gesellschaft gewesen, in der sie sich befunden hätte. Es fiel ihr schwer, sich jemanden vorzustellen, mit dem sie die Zeit vom Frühbarock bis heute, zusammengepfercht auf einem Schiff, hätte verbringen können, ohne total verrückt zu werden, so unterhaltsam dieser Mensch auch immer gewesen sein mochte. Nach dem kurzen Eindruck, den sie von der Mannschaft des Fliegenden Holländers gewonnen hatte, war es allerdings nicht sehr wahrscheinlich, daß diese Vanderdecker dabei behilflich gewesen war, den Verstand nicht zu verlieren. Und doch hatte er es irgendwie geschafft. An sich bemerkenswert. Er war sowieso ein ziemlich bemerkenswerter Mensch, wenn auch auf eine etwas anstrengende und nervenaufreibende Weise. Oder hatte er auch nur dasselbe getan wie sie und jeder andere, um sich durch ein im Grunde langweiliges und trostloses Dasein zu schlagen? Der Beruf des Buchhalters ist in gewisser Weise fast so etwas wie eine endlose Weltumseglung, da er nur wenige Lichtblicke bietet, die durch breite graue Flächen der endlosen Langeweile weiträumig voneinander getrennt sind. Um diese Flächen zu überqueren, versucht man, nicht an die ewig lange Strecke zu denken, die man bewältigen muß, und hat statt dessen nur den nächsten Lichtblick vor Augen: das Wochenende. Im Falle Vanderdeckers fanden diese Lichtblicke nicht alle sieben Tage, sondern nur alle sieben Jahre statt, aber als er sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war es vermutlich auf dasselbe herausgekommen. Jane schüttelte sich. Dieses Leben glich auf bedrückende Weise ihrer eigenen Situation, nur war es noch schlimmer.
Letztendlich mußte Vanderdecker lediglich Montalban finden, um den alchimistischen Prozeß umzukehren und den Geruch loszuwerden, und schon würde es ihm gutgehen. Jane hingegen mußte sehr viel gerissener vorgehen, um aus ihrem eigenen Teufelskreis auszubrechen, zum Beispiel erfolgreich an der Börse spekulieren oder einen Millionär heiraten. Sobald Vanderdecker erst einmal hinreichend keimfrei gemacht und mit dem Hause Fugger zu einer umfassenden Einigung gelangt war, könnte er den Rest seines Lebens in Frieden und Luxus verbringen. Sie hingegen war noch nicht einmal dazu gekommen, sich um ihre Rentenansprüche zu kümmern. Manche Leute haben eben immer Glück, sagte sie sich. Wenn es mir gelungen wäre, ihn zu dieser umfassenden Vereinbarung mit dem Strumpf zu überreden, dann wäre ich jetzt vielleicht fein raus und ebenfalls von allen Zwängen befreit. Aber Jane verdrängte diesen Gedanken wieder. Wenn sich der Fliegende Holländer irgendwann einmal freiwillig entscheiden wird, die Police einzulösen, dann wünsche ich ihm jedenfalls alles Glück dieser Erde. Er hat es in gewisser Weise verdient, und ich will nicht diejenige sein, die ihn zu irgend etwas drängt.
Jane riß sich von diesen träumerischen Gedanken wieder los und betrachtete die fettige Kruste des Sandwiches und die grobkörnigen Rückstände in der Kaffeetasse, womit sich die ernährungstechnische Seite für sie vorläufig erledigt hatte. Es war an der Zeit, nochmals zu versuchen, Peter anzurufen.
»Hallo, Peter«, meldete sich Jane kurz darauf aus einer Telefonzelle. »Weißt du, wo ich Professor Montalban finden kann?«
»Hallo, Jane«, antwortete eine ziemlich überraschte Stimme – und zwar so überrascht, wie vermutlich Rip van Winkle geklungen hätte, wenn ihn jemand in den frühen dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts angerufen hätte, um ihn nach der Abfahrtszeit des nächsten Busses nach San Bernadino zu fragen. »Bist du das?«
»Ja, sicher. Wo finde ich Montalban?«
»Professor Montalban?«
»Nein, Erzbischof Montalban. Wo kann ich ihn finden?«
»Mensch, Jane! Das ist ja Urzeiten her, daß ich das letztemal was von dir gehört hab«, freute sich Peter. »Und wie ist es dir so ergangen?«
Jane wollte
Weitere Kostenlose Bücher