Der Fliegende Holländer
schreien, aber sie befand sich in einer dieser offenen Telefonzellen. »Mir ist es gut ergangen, danke, Peter. Ich führe das auf die formaldehydhaltigen Gesichtspackungen zurück. Professor Montalban. Wie lautet seine Adresse? Wo lebt er? Du weißt es doch, oder?«
»Nein.«
Und warum hast du das nicht gleich gesagt, du Scherzkeks? fluchte Jane in sich hinein. »Du weißt es nicht?«
»Nein, tut mir leid.«
»O je, das ist aber schade, Peter, wirklich. Ach, du hast ja keine Ahnung, was für ein Jammer das ist«, schluchzte Jane in den Hörer.
»Ich könnte natürlich jederzeit nachschlagen.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, sicher.«
Lieber Gott, gib mir Kraft. Vielleicht nicht unbedingt die Kraft, um Berge zu versetzen, aber doch so viel, um dieses Telefongespräch durchzuhalten. »Und wo könntest du nachschlagen, Peter?«
»Im Lehrkörper-Adreßbuch natürlich.«
Natürlich. Wie dumm von mir, das nicht zu wissen. Das Geräusch, das du hörst, stammt von mir, ich schneid mir nämlich gerade die Pulsadern auf. »Und hast du zufällig ein Exemplar davon griffbereit, Peter?« säuselte sie in den Hörer.
»Selbstverständlich.« Peter klang ein wenig gekränkt. »Es liegt direkt vor mir auf dem Schreibtisch.«
»Na, das ist ja prima, Peter! Ich glaube, wir kommen der Sache schon näher. Wie wär’s, wenn du’s unter dem Buchstaben M aufschlagen würdest?« Jane zählte leise bis fünf, um ihm Zeit zu geben. »Bist du noch da, Peter?«
»Ja.«
»Montalban, Peter. Wenn ich raten müßte, würde ich sagen, es steht irgendwo zwischen Mellish und Moore. Glück gehabt?«
»Warte, ich hab’s gerade fallengelassen. Ah ja, da ist es. Montalban. Du hast gesagt, du willst seine Adresse wissen?«
»Genau«, jauchzte Jane. »Du mußt ein Gedankenleser sein.«
»Also, die Adresse lautet …«
»Warte!« unterbrach ihn Jane. »Ich muß noch einen Bleistift rausholen.«
Das Signal zum Geldnachwerfen ertönte. Jane stopfte gerade noch rechtzeitig eine Pfundmünze in den Schlitz, dann förderte sie einen Bleistift und die Rückseite eines Briefumschlags zutage. »Fertig. Schieß los!«
»Die Adresse lautet: Greathead Manor, High Norton bei Cirencester.«
»Danke.«
»Gloucestershire.«
»Ach, das Cirencester. Weißt du, ob er schon aus Genf zurück ist? Ach ja, ist er? Nun, vielen Dank, Peter. Und wie geht’s mit der Doktorarbeit voran?«
»Leider nicht sehr gut«, sagte Peter. »Ich stoße laufend auf neue Probleme und muß dann immer wieder den Anfang ändern.«
»Den richtigen Anfang zu finden ist immer sehr schwierig, Peter«, tröstete ihn Jane. »Nach meinen Erfahrungen fast so schwer wie der Mittelteil und vor allem der Schluß. Du mußt einfach durchhalten, Peter. Denk an die Sage vom Schottenkönig Robert Bruce, der sich an der Hartnäckigkeit einer Spinne ein Beispiel nahm. Es war schön, mit dir mal wieder zu reden. Aber ich muß jetzt leider los, tschüs.«
Jane setzte sich ins Auto, stellte den Rückspiegel ein, legte den Sicherheitsgurt an und zog den Choke. Dem Straßenatlas des britischen Automobilklubs zufolge gelangte man am schnellsten von Bridport nach Cirencester, indem man über einige Landstraßen zweiter Ordnung bis zur M 5 fuhr, dann hinter Bristol die M 4 in Richtung London nahm und später auf die A 429 abbog. Obwohl ihrer Erfahrung nach Straßenkarten dazu neigen, wie gedruckt zu lügen – besonders, wenn es um den Standort von Autobahntankstellen geht –, schien es doch einen Versuch wert zu sein. Als sie den Zündschlüssel drehte, veranlaßte sie etwas, noch einmal aus dem Fenster zu sehen und einen letzten Blick auf das kleine Städtchen Bridport zu werfen, wo all das geschehen war, was solch tiefgreifende Konsequenzen nach sich gezogen hatte: der erste Hinweis in der Bank, das Gästebuch im Hotel, das Aufsuchen dieses seltsamen, verfallenen Cottages, was letztendlich auf die dramatische Begegnung am Bootshafen hinausgelaufen war, und ihre irrationale, bis jetzt noch nicht zu erklärende Entscheidung, sich noch tiefer in dieses Abenteuer hineinzustürzen, das so unwirklich und doch von solch ungeheurer Anziehungskraft war. Die Sonne glänzte in den Fenstern des Rathauses, und die Ampeln schienen ihr wie alte Freunde zuzuzwinkern. Vielleicht würde sie eines Tages wieder zurückkommen, vielleicht auch nicht. Vielleicht würde sie diese Strecke niemals wieder entlangfahren und nun alles zum letztenmal sehen.
»Juchhu!« rief sie vor lauter Übermut und ließ die Kupplung
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