Der Fluch der Abendröte. Roman
beugen?«
Wütend fuhr Saraqujal zu ihm herum. »Nicht, wenn dieser Rat selbst Regeln bricht!«
»Du hast deinen Brüdern den Gehorsam verweigert«, sagte Caspar. »Und deswegen bist du verflucht worden.«
»Pah!«, schimpfte Saraqujal. »Schlappschwänze, Feiglinge! Verführbar allesamt. Ich wollte, dass Nathan und seinesgleichen mit allen Mitteln dazu gezwungen werden, endlich ihre Pflichten zu erfüllen – doch anstatt dieser Ansicht zu folgen, hat man sich gegen mich gestellt. Weil ein Alter«, er imitierte eine fremde Stimme, »weil ein Alter, der sich gegen die Mehrheit des Rats stellt und einen Beschluss nicht akzeptieren will, gefährlicher ist als ein Nephil, der ein friedliches Leben führt. Nun gut«, schlagartig wurde seine Stimme wieder ernst. »Ich brauche keinen Ratsbeschluss, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich kann ganz allein dafür sorgen.«
»Aber warum ich verhasster Schlangensohn noch lebe, hast du mir immer noch nicht gesagt«, zischte Caspar.
Saraqujal seufzte ungeduldig und verdrehte die Augen. Flüchtig ging sein Blick wieder zu mir, verharrte aber nicht lange, als wolle er andeuten, dass normalerweise doch nur die dummen Menschen so begriffsstutzig seien.
»Ich hätte dich für schlauer gehalten, Caspar von Kranichstein«, höhnte er. »Dass mich Sophie mit großen Augen anstarrt und nicht fassen kann, wer der arme, alte, kranke Nachbar in Wahrheit ist – damit habe ich gerechnet. Aber ich hätte erwartet, dass du schon eher misstrauisch wirst und die Wahrheit ahnst. Wie blind ihr seid, alle beide! Ist es dir nicht merkwürdig vorgekommen, dass alles so reibungslos vonstattenging? Zugegeben, es war nicht ganz leicht, Sophie endlich in dein Anwesen zu locken – ich musste den guten Anastasios mehrfach beauftragen, deine Kleidung anzulegen und hinter dem Fenster zu stehen – auch er übrigens ein Schlangensohn, der bösartig genug war, an meiner kleinen … Täuschung mitzuarbeiten, während die Wächter sich weigerten, mir zu dienen. Aber nun gut, lassen wir das. Endlich hat sie also das Anwesen betreten – und prompt einen Hinweis auf deinen Aufenthalt gefunden. Und siehe da: Kaum folgt sie ihm, sucht sie die Lodge auf – schon findet sie Caspar. Gewiss, all das wird sie so überfordert haben, dass sie nicht nachgedacht hat, was es mit all dem auf sich haben könnte. Aber du, Caspar …«, er schüttelte mahnend den Kopf. »Warum hast du von dem Namen Samuel Orqual nicht schon eher auf meinen Namen geschlossen, wo du doch sämtliche Namen der Alten kennst?« Er verdrehte wieder die Augen. »Dass Susanna am Ende nicht mehr mitgespielt hat, war ärgerlich, und dass Marian Sophie so gerne hatte, machte überdies alles schwerer, aber ihr seid mir dennoch blindlings in die Falle getappt. Und Marian war mir am Ende sogar nützlich: Er dachte doch wirklich, er würde euch helfen, indem er euch in den Berg lockte. Aber leider … leider hat er unbeabsichtigt genau das getan, was mir von Vorteil war.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er ist Ihr Enkelsohn, er ist …«
»Er ist eine missratene Kreatur! Nicht wert, ein Nephil genannt zu werden! Viel zu blass, zu klein, zu schwach für sein Alter!«, schimpfte Saraqujal. »Ich hätte ihn anständig erzogen, aber Susanna … Susanna lag mir ständig in den Ohren, dass ihn das umbringen würde. Ich habe nur nachgegeben, weil ich sie auf diese Weise zwingen konnte, an meiner Maskerade mitzuwirken. Nun ja, ein Gutes hatte das alles – so ist er Nathan nicht aufgefallen. Wobei er ihn trotzdem hätte erkennen können, wenn er ein wenig aufmerksamer durch die Welt gegangen und nicht ständig damit beschäftigt gewesen wäre, sein wahres Wesen zu unterdrücken. Ihm ist ja auch entgangen, wer ich bin, obwohl er mir – Rollstuhl hin oder her – nur einmal kurz in die Augen hätte schauen müssen. Stattdessen war er einzig mit eurer erbärmlichen, kleinen Familienidylle beschäftigt! Anstatt wachsam zu sein, hat er all seine Aufmerksamkeit nur der geliebten Frau und dem Kind geschenkt. Alle wart ihr blind. Einzig Aurora wäre es nicht gewesen. Sie hätte mir gefährlich werden können – wenn er endlich die Nephila in ihr erweckt hätte.«
Nathans Finger umkrampften meine immer fester. »Was hast du mit ihr gemacht?«, fragte er. »Und was hast du jetzt mit ihr vor?«
Saraqujal starrte ihn so nachdenklich an, als wüsste er das selber nicht mehr genau. »Eins nach dem anderen«, erklärte er schließlich. »Zuerst geht es doch um
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