Der Fluch der Abendröte. Roman
war mein Leben. Für Nathan würde ich meines opfern.
»Geh!«, rief er. »Geh weg von mir!«
Er schüttelte meine Finger ab, doch damit erreichte er nur, dass ich mich noch fester an ihn drückte, meinen Körper wie ein Schutzschild über seinen beugte. Caspar kam näher.
»Wenn du ihn töten willst, musst du erst mich töten.«
In Caspars Augen blitzte etwas auf, das ich nicht deuten konnte. Vielleicht war es Bedauern, vielleicht aber einfach nur Genugtuung. Saraqujal hingegen runzelte ungeduldig die Stirn. »Ach, diese Menschen …«, sagte er gelangweilt, »nie vermögen sie ihre eigenen Kräfte einzuschätzen …«
Ich ignorierte ihn, fixierte stattdessen Caspar. »Du willst doch nicht seinem Befehl gehorchen!«, rief ich eindringlich. »Trotz allem, was geschehen ist, ist er immer noch ein Wächter! Lass dich doch nicht benutzen! Mach dich nicht zu seinem Erfüllungsgehilfen! Das wäre doch erbärmlich! Und bis eben noch hast du doch geschworen, keinen Hass mehr fühlen zu können, keine Rachegelüste … weil es tot ist in deiner kalten, harten Brust, weil …«
Mir gingen die Argumente aus. Als ich zu reden begonnen hatte, war Caspar kurz stehen geblieben, nun machte er einen weiteren Schritt auf uns zu, stand unmittelbar vor mir.
»Flieh!«, stöhnte Nathan hinter mir. »Flieh!«
Und Caspar sekundierte grinsend: »Wie es aussieht, sind Nathan und ich einmal einer Meinung. Geh zur Seite, Sophie.«
Ich schüttelte stur den Kopf – und machte mich zugleich auf seine Berührung gefasst. Ich wusste nicht, was ich gleich zu spüren bekommen würde, seine dunkle, schwere Faust, die mich durch den Raum schleudern würde, oder nur den leichten Druck seiner Finger, wenn er mich zur Seite schob. Oder würde er gar das Schwert gegen mich erheben, das Schwert, das er von Saraqujal erhalten hatte, um Nathan zu töten? Würde er auch mein Blut vergießen?
Noch hielt er die tödliche Waffe gesenkt, und noch bevor ich erkennen konnte, ob er sie hob, wurde ich plötzlich von einem grellen Licht geblendet, das direkt in mein Gesicht schien.
Ich hob die Hand, um meine Augen zu schützen. Der Lichtstrahl schien aus dem Gang zu kommen. Jemand stand dort, trat nun in den Raum, ließ den Lichtschein kreisen.
Als die Lampe gesenkt wurde und ich die Hand wieder von den Augen nahm, erkannte ich, dass auch Caspar und Saraqujal von diesem Besuch überrascht worden waren. Sie fuhren herum, blickten ihm feindselig entgegen.
»Sophie, was ist hier los?«
Es war Lukas, der dort stand – in seinem grauen Overall, den er als Bergmann trug, und mit einem gelben Helm auf dem Kopf.
Ratlos blickte er in die Runde. Seine Augen weiteten sich, als er Nathan erblickte und die Ketten erkannte, mit denen er gefesselt war.
»Geh!«, rief ich schnell – und konnte nun nachfühlen, wie es Nathan zugesetzt haben musste, als er mich vergebens zur Flucht aufgefordert hatte. Denn auch Lukas ignorierte meine Aufforderung und trat in die Mitte des Raums. »Als ich von der Polizei zurückgekommen bin, warst du weg. Also habe ich nach dir gesucht. Man hat dich gesehen, wie du in Richtung des Bergwerks gegangen bist … in Begleitung eines Fremden. Da bin ich dir gefolgt …«
Wieder wanderte sein Blick von einem zum anderen, blieb diesmal – verwirrt und angewidert zugleich – bei Caspars Schwert hängen. Der erwiderte den Blick nachdenklich, so, als müsste er erst entscheiden, ob dieser Störenfried das bevorstehende Vergnügen, Nathan und mich zu töten, mindern oder mehren würde.
»Was zum Teufel …«, begann Saraqujal hingegen zischend und starrte Lukas an, als wäre er ein lästiges Insekt.
»Geh!«, rief ich panisch. »So geh doch!«
Und dann redeten plötzlich alle durcheinander.
»Sag mir, was los ist?«, fragte Lukas, und gleichzeitig Caspar: »Wer ist das?«
»Mias Vater«, gab ich hastig zur Antwort, um sofort Lukas wieder aufzufordern: »Geh endlich!«
»Die Mädchen! Was ist mit den Mädchen?«, rief dieser, während Saraqujal irgendetwas von einem Störenfried murmelte und Nathan mir immer wieder zuraunte: »Bringt euch in Sicherheit … bringt euch in Sicherheit.«
»Das ist Mias Vater?«, stellte Caspar fest, um dann gereizt hinzuzufügen: »Warum diese erbärmliche Brut von Menschen immer zu Unzeiten auftauchen muss!«
Noch während er sprach, hatte er das Schwert leicht gehoben, nicht sonderlich bedrohlich, eher spielerisch, als würde er zunächst nur bedächtig prüfen wollen, wie sicher es in seinen
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