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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Caspar könnte noch leben – und mir dann den Hinweis gegeben, wo er sich aufhielt. Was immer er über mich und Caspar wusste – er hatte darauf gesetzt, dass ich ihn so gut wie niemand sonst aus seiner Lethargie reißen konnte.
    »Warum?«, stammelte ich.
    »Warum ich vorgab, ich sei nach einem Schlaganfall gelähmt und müsse im Rollstuhl sitzen?«, gab er zurück. »Nun, auf diese Weise war ich sehr unauffällig. Weder hast du jemals hinterfragt, wer ich in Wahrheit bin – noch Nathan. Ich konnte mich unbemerkt in euer Leben schleichen, euch in aller Ruhe beobachten und dann ans Werk gehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das hatte ich nicht gemeint. »Warum musste Susanna sterben?«, stieß ich aus.
    »Pah!«, antwortete er so leichtfertig, als hätte er lediglich eine lästige Fliege zerdrückt. »Sie hat ihr ganzes Leben an meiner Seite verbracht … doch am Ende hat sie die notwendige Loyalität vermissen lassen. Wie lästig sie mir wurde! Ständig lag sie mir in den Ohren und flehte mich an, Marian aus allem herauszuhalten und dich in Ruhe zu lassen! Sie hat einfach nicht verstanden, dass mir keine andere Wahl blieb. Nicht nach dem, was Sartael mir angetan hat.«
    »Sartael …«, echote ich. Den Namen, den Caspar auf dem Protokoll entziffert hatte.
    »Mein werter Bruder«, sagte Samuel Orqual … nein, Saraqujal, mit bissigem Unterton. »Wir standen uns immer nah, viel näher als die anderen Alten. Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, den Fluch auf mich zu legen.«
    Worte schossen mir ohne rechten Zusammenhang in den Sinn.
    Der Rat … Mehrheitsbeschlüsse … die diplomatischen Alten … die, die den Nachwuchs ausbilden … die Feldherren … man muss sich dem Ergebnis der Abstimmung beugen … wer es nicht tut, wird ausgeschlossen und mit dem Fluch belegt.
    Genau das war offenbar mit Saraqujal geschehen: Er hatte für Aufruhr und Tumult gesorgt, hatte sich den anderen widersetzt, hatte nicht ihre Meinung geteilt, wie man mit Nephilim umzugehen hatte, die sich ihrer eigentlichen Berufung widersetzten, Nephilim wie Nathan – und dafür bittere Konsequenzen tragen müssen. Eine Konsequenz, die er nicht hinnehmen wollte.
    Doch das alles war doch kein ausreichender Grund, seine Frau zu ermorden – eine Auserwählte, wie ich eine war, wie mir nun aufging.
    »Du hast sie die Kellertreppe hinuntergestoßen! Du hast sie ermordet!«
    »Ich wollte nicht, dass sie stirbt«, meinte er ohne jegliche Gefühlsregung. »Aber ich war wohl etwas zu grob … ihr Menschen ertragt leider nicht sonderlich viel. Ach, wenn sie nur nicht darauf bestanden hätte …
ihn
schützen zu müssen.«
    Ich dachte kurz, er meine Nathan, sah dann aber, dass Saraqujal seinen Blick nach innen gerichtet hatte, als hinge er unschönen Erinnerungen nach.
    »Wen?«, fragte ich. »Wen wollte sie schützen?«
    »Unseren Sohn«, erklärte er knapp.
    Ich begriff zunächst nicht, was er meinte, aber als ich sah, wie sein Blick langsam erkaltete, immer abfälliger, aber zugleich auch enttäuschter wurde, erkannte ich die Wahrheit.
    Er sprach von Susannas und seinem Sohn. Als mir klargeworden war, dass Marian ein Nephilim-Kind war, hatte ich gedacht, Samuel Orquals Schwiegertochter gehörte der unsterblichen Rasse an, doch nun, wo ich seine wahre Existenz kannte, nahm ich an, dass Marians Vater das Nephilim-Erbe in sich trug … der ständig abwesende Vater, der in New York seinen Geschäften nachging. So lautete zumindest die offizielle Erklärung. In Wahrheit war er wohl nicht nur vor seinen Pflichten gegenüber Marian, sondern vor denen als Nephil davongelaufen – und zugleich vor seinem Vater, der das nicht duldete. Warum sonst fehlte in den Familienalben sein Gesicht, wenn nicht Samuel Orqual alles darangesetzt hatte, die Erinnerung an ihn auszumerzen? Und warum sonst hätte Susanna ihn schützen müssen?
    Und noch etwas anderes ging mir auf. Das Schulfest …, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, Auroras erschrockenes Gesicht … die Tribüne, die einstürzte … mein Versuch, diesen vermeintlich alten Mann zu retten, der da hilflos im Rollstuhl nach vorne zu kippen drohte … Nathan, der eingriff …
    Das alles war kein unglücklicher Zufall gewesen. Das alles hatte dieser alte Mann … nein, dieser
Alte
der Nephilim bewusst herbeigeführt.
    Er schien zu ahnen, was in mir vorging. »Nicht nur zwei, sondern gleich drei Fliegen auf einen Streich«, meinte er sichtlich stolz.
    Fassungslos starrte ich ihn an. »Du hast

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