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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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ich dich kenne, bist du bereit, für Aurora jedes Opfer zu bringen. Nicht auszudenken, was ich in diesem Augenblick von dir verlangen könnte … und was du mir vielleicht geben würdest. Wenn alles noch wie früher wäre …«
    Er trat auf mich zu, nicht ganz so schwankend wie vorhin. Seine Beine schienen steif wie Stöcke zu sein, doch seine Spinnenhände waren so geschmeidig wie einst, als sie plötzlich hochfuhren und vor meinem Gesicht innehielten. Ich wappnete mich gegen eine Berührung, fühlte die Hände schon über meine Wangen streicheln, als er sie wieder kraftlos sinken ließ.
    »Was soll’s«, murmelte er, »es macht keinen Spaß mehr. Es amüsiert mich überhaupt nicht mehr. Ich fühle … nichts.«
    So leer wie sein Blick war und so tonlos seine Stimme, glaubte ich ihm sogar. Und ich konnte mich dennoch nicht damit zufriedengeben.
    »Hör auf, mir etwas vorzuspielen!«, fuhr ich ihn an. »Ich kenne die Wahrheit!«
    »Die da wäre?«
    »Du hast Nathan irgendwie dazu gebracht, uns zu verlassen. Du hast Aurora entführen lassen. Du willst sie immer noch, und mich auch und …«
    Ich verstummte mitten im Satz. Die Worte klangen selbst in meinen Ohren lächerlich. Wie sollte Caspar Nathan in diesem Zustand zu irgendetwas gebracht haben, was dieser nicht wollte? Und warum sollte er sich in dieser Einöde verschanzen, wenn er Aurora in seiner Gewalt hätte?
    Genau das schien auch Caspar durch den Kopf zu gehen. »Sophie«, setzte er gedehnt an, »dein Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrt dich. Aber kannst du mir bitte erklären, warum ich hier oben hocken und Wein saufen sollte, der seine Wirkung verfehlt, wenn ich all das tatsächlich getan hätte?«
    »Du willst mich in die Irre führen. Du willst …«
    »Dich in die Irre führen?«, unterbrach er mich – unerwartet heftig diesmal, ein neuerlicher Ruck ging durch seine Glieder. Ja, der Wein mochte seine Wirkung auf ihn verfehlen – aber ich nicht. Ich wusste nicht, was genau ihm dieses bisschen Lebendigkeit schenkte – ob vergangene Liebe oder vergangener Hass, nur diesmal war es eindeutig keine Sinnestäuschung, dass seine Wangen an Farbe gewonnen hatten und seine schwarzen Augen ein wenig glänzten. »Warum sollte ich dich in die Irre führen?«, rief er erneut. »Wenn du denkst, dass ich dazu fähig bin, Nathan zu vertreiben und Aurora zu entführen – warum sollte ich dir dann etwas vormachen? Warum dir Lügen auftischen? Ich könnte dich auf der Stelle töten oder weiß Gott was sonst mit dir anstellen – und du hättest nicht den Hauch einer Chance gegen mich.«
    Ich senkte meinen Blick. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte – er hatte recht. Er hatte nichts mit Nathans Verschwinden und Auroras Entführung zu tun. Vielleicht war seine Erschöpfung und Gleichgültigkeit zum Teil gespielt – aber nicht ganz.
    »Aber …«, stammelte ich, »aber wer hat Aurora dann? Wer hat sie entführt?«
    »Mhm«, machte er und legte seinen langen Finger nachdenklich auf die Lippen. Sie waren nicht mehr ganz so bläulich, aber immer noch sehr schmal. »Da ich es nicht war, ist das in der Tat eine interessante Frage.«
    Er ließ den Finger wieder sinken und zeigte nun den Anflug eines Lächelns, nein, eines Grinsens – bösartig, schadenfroh –, und in seinen Augen blitzte es.
    »Du weißt doch etwas!«, rief ich.
    Schlagartig schwand das Grinsen wieder. Wieder vermeintlich gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß so vieles, was ich überhaupt nicht wissen will.«
    »Sag es mir!«, rief ich flehentlich.
    »Und warum sollte ich?«, gab er zurück. »Ach ja … jetzt fällt es mir ein … du sagtest es bereits: Dass du … alles dafür tun würdest, Aurora wiederzubekommen. Aber was bringt mir das?« Beinahe entschuldigend hob er die Hände. »Cara hat mir die Gier genommen … meine Gier nach Rache, nach dir, nach Aurora … Meinetwegen könnt ihr glücklich leben. Es lässt mich kalt.«
    »Wir leben nicht glücklich. Nicht mehr.«
    »Tja«, machte er nur und wandte sich ab.
    Er ging zurück zum Tisch, trommelte mit seinen Fingern auf dem einzigen winzigen Fleckchen, dass frei war. Die Fliegen summten ärgerlich.
    »Tja«, wiederholte er. »Nathan fort … Aurora fort … Du ganz allein … Ich hätte dich nie allein gelassen. Nicht angesichts der vielen Gefahren.«
    Ich zuckte zusammen. »Gefahren?«, brachte ich flüsternd hervor. »Welche Gefahren?«
    Caspar antwortete nicht darauf. »Wenn ich mich recht erinnere, hat Nathan

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