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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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rechte Augenbraue. »Warum verschwende ich eigentlich meine Zeit? Warum muss ich mich überhaupt mit dir abgeben? Darf ich dich erinnern, dass du dich entschieden hast? Für unseren schönen Cellisten nämlich. Nicht für mich. Spielt ihr eigentlich noch gemeinsam?«
    Kaum merklich runzelte er die Stirn.
    »Caspar …«
    »Ich hoffe, ihr tut es nicht«, brach es plötzlich aus ihm heraus, und das Funkeln in den Augen, das vorhin einfach nur Reste an Lebendigkeit verheißen hatte, wurde bösartig. »Ich hoffe, dass euch zumindest diese Freude genommen worden ist. Eigentlich ist es ein geradezu lächerlicher Preis, den ihr zahlen musstet. Aber zumindest musstet ihr irgendetwas opfern. So ist das Leben. Man kriegt etwas, und es wird einem etwas dafür genommen. Cara hat mir mein Leben geschenkt. Aber sie hat mich meiner Gefühle beraubt, meiner Rachsucht, meines Hasses.«
    Er löste seine langen, dünnen Hände von der Brust und betrachtete sie aufmerksam – wie es schien, zum ersten Mal seit langer Zeit, denn er starrte darauf, als gehörten sie nicht zu ihm. »Ich habe seit Jahren kein Schwert mehr geführt. Aber ich könnte dich töten, Sophie, schnell, ganz einfach. Auch wenn ich müde und ausgelaugt bin – dafür würde es noch reichen.«
    Sein Blick schweifte über meine Gestalt, wieder mit diesem boshaften Funkeln, aber auch mit dieser tiefen Traurigkeit.
    »Wenn du mich töten wolltest, hättest du es gleich getan. Was weißt du über Auroras Entführung? Was weißt du über diesen … Streit der Alten?«
    »Ich weiß, dass man niemandem trauen sollte, einfach niemandem«, gab er zurück. »Wahrscheinlich hat sich alles direkt vor deinen Augen abgespielt. Und du hast es nicht bemerkt. Menschen sind so blind … sie sind stets mit ihren kleinlichen Angelegenheiten beschäftigt … sie heben nie den Kopf, um die Wahrheit zu erkennen.«
    »Welche Wahrheit?«
    »Dass die Welt nicht schwarz und weiß, sondern grau ist. Dass alle Grenzen verlaufen. Dass Gut und Böse sich nicht trennen lassen.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich ist das hier alles ein Irrwitz! Der gute Nathan verlässt dich – und du kommst ausgerechnet zu mir und bettelst um Hilfe.«
    Kicherte oder schluchzte er?
    »Ich bettle nicht um deine Hilfe. Ich will, dass du mir Antworten gibst.«
    »Weil ich der Letzte bin, der dir helfen kann.« Nun kam eindeutig ein Kichern über seine Lippen. »Cara, Nathan, Aurora … alle fort. Jetzt hast du niemanden mehr, der dir die Welt der Nephilim erklärt.«
    »Dann tu du es!«
    Das Kichern verstummte. Langsam, sehr langsam trat er auf mich zu, beugte sein aufgeschwemmtes Gesicht ganz nah zu meinem. Ob es die veränderte Perspektive war oder einfach die Kraft, die ihm die vielen Wort gegeben hatten – die Haut wirkte nicht mehr so schlaff. Wieder hob er seine Spinnenhände, viel zu lang, um schön und elegant zu wirken. Eher monströs schienen sie, wie sie plötzlich vorschnellten, sich auf meine Stirne legten, sacht über meine Wangen strichen. Die Berührung fiel so sanft aus, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob sie vielleicht einfach nur eine Sinnestäuschung war. Meine Haut schien zu schmelzen – und gleichzeitig zu verhärten.
    Ich wich zurück, stolperte fast über die eigenen Füße, und da lachte er plötzlich – kicherte nicht einfach nur verstohlen, sondern lachte laut und blechern, lachte, wie der alte Caspar gelacht hatte.
    »Du hast deine Wahl getroffen«, zischte er. »Und jetzt hau ab!«
    Keinen Augenblick länger würde ich nun noch glauben können, dass seine Gefühle tatsächlich erkaltet waren. Vielleicht hatte es sich in den letzten Jahren tatsächlich für ihn so angefühlt, als wäre es so, aber in diesem Moment hasste er. Hasste sich aus ganzem Herzen. Hasste Nathan. Und hasste auch mich.
    Panik stieg in mir hoch, Grauen – und zugleich altvertraute Faszination. Ich konnte mich all dem nicht länger aussetzen, stürmte zur Tür, riss sie auf und stürzte hinaus. Sein Gelächter begleitete mich den Gang entlang, es echote auch dann noch in meinen Ohren, als ich die Lodge schon längst verlassen hatte, zur Seilbahnstation lief und gerade noch die letzte Gondel erreichte, die an diesem Tag hinunter ins Tal fuhr.

    Als ich zu Hause ankam, war ich völlig durchgefroren, doch erst als ich die Türschwelle überschritten hatte, bemerkte ich, wie sehr ich zitterte. Die Nässe war durch meine Schuhe gedrungen, meine Haare hatten sich in der feuchten Luft gekräuselt. Ich hatte

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