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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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vergessen, im Auto die Heizung anzumachen, und jetzt klapperten mir die Zähne. Lukas stürzte mir entgegen. Das Entsetzen, das in seinem Gesicht stand, wuchs bei meinem Anblick.
    »Sophie … Sophie, wo warst du nur?«
    Ich blieb stehen und konnte ihn nur wortlos anstarren. Mein Zittern verstärkte sich. Eigentlich war Lukas ein Mann, der seine Gefühle stets im Griff hatte – doch nun spiegelte sich meine eigene Qual in seinem Blick.
    »Sophie …«
    Zunächst war er zögernd vor mir stehen geblieben. Nun nahm er mir die Handtasche ab, zog mir die Jacke aus und führte mich ins Wohnzimmer zum Sofa. Kaum saß ich, bückte er sich, um mir die Schuhe aufzuschnüren und sie mir von den Füßen zu ziehen. Wehrlos ließ ich alles über mich ergehen, zutiefst dankbar, dass er nicht noch mehr Fragen stellte, obwohl es ihm bestimmt schwerfiel, sich zurückzuhalten. Schließlich holte er eine Decke und hüllte mich darin ein.
    »Sophie«, seine Stimme klang nicht mehr panisch wie vorhin, sondern beruhigend, »Sophie, wo warst du?«
    »Ich kann es dir nicht sagen«, brach es aus mir hervor. »Ich kann dir so vieles nicht sagen, glaub mir, ich würde es so gerne, aber ich … ich … kann nicht … ich darf nicht. Ich darf es einfach nicht!«
    »Wer verbietet es dir denn?«
    Ich schüttelte heftig den Kopf. »Ich muss es doch geheim halten … ich … ich …«
    »Was musst du geheim halten? Hat es mit den Kindern zu tun?«
    Ich schüttelte wieder den Kopf – was ohne Zweifel eine Lüge war. Natürlich hatte das Verschwinden der Kinder mit der Existenz der Nephilim zu tun. Auch wenn Caspar nicht dafür verantwortlich war, so hatte eben ein anderer dieser … Brut seine Hände im Spiel. Aber ich wusste – wenn ich nur die geringste Andeutung gemacht hätte, hätte Lukas weitergebohrt.
    Das Zittern hatte ein wenig nachgelassen. Erst jetzt merkte ich, dass er mich an den Schultern gepackt hatte und mich nun zaghaft streichelte. Ich fühlte, wie sich wieder Wärme in mir ausbreitete – und wie ich mich langsam wieder beruhigte.
    »Nathan …«, murmelte ich. »Ich habe Nathan gesucht. Er … er ist seit zwei Tagen verschwunden, und ich weiß nicht, wo er ist. Mir war noch ein … Ort eingefallen, wo er sein könnte. Doch auch dort habe ich ihn nicht gefunden.«
    Zu meiner Erleichterung hinterfragte Lukas diese Erklärung nicht. »Hast du versucht, ihn telefonisch zu erreichen? Heutzutage hat doch jeder sein Handy dabei. Und er kann doch nicht einfach gehen, ohne …«
    Er verstummte, schüttelte nun selbst irritiert den Kopf.
    »Glaub mir«, sagte ich tonlos, »er kann …«
    Auch wenn ich Lukas so vieles andere verschwieg – meinen Schmerz über Nathans unerklärliches Verschwinden konnte ich nicht vor ihm verbergen.
    »Er kann«, wiederholte ich. »Er hat es schon einmal getan.«
    Lukas ließ mich los und setzte sich neben mich. »Was?«, fragte er verständnislos. »Dich einfach verlassen?«
    Ich gab keine Antwort, was er für eine Bestätigung hielt. »Das … das verstehe ich nicht. Ihr habt doch so glücklich miteinander gewirkt!«
    »Das waren wir ja auch.« Erst als ich Worte ausgesprochen hatte, merkte ich entsetzt, dass ich in der Vergangenheit gesprochen hatte.
    »Und trotzdem ist er einfach gegangen?«
    Ich schwieg, denn was hätte ich auch sagen sollen? Dass er zwar nicht grundlos so gehandelt haben mochte? Aber dass ich dennoch schrecklich enttäuscht und verzweifelt war, weil er sich mir nicht anvertraut hatte, sondern einfach gegangen war?
    Wenn er dieses Opfer wirklich zu meinem und Auroras Wohl gebracht hatte, dann war es vergebens gewesen … denn Aurora befand sich in den Händen dieser unbekannten Entführer.
    Ich schluchzte auf.
    »Sophie … es tut mir so leid … ich hatte ja keine Ahnung.«
    Ich schluchzte weiter – weil es mir schwerfiel zu lügen und so vieles zu verschweigen. Und weil sich darin all meine Anspannung entlud. Lukas hielt mich fest, presste schließlich meinen Kopf an seine Brust und streichelte über mein Haar. Er wirkte unsicher, etwas verlegen, aber er hörte nicht damit auf.
    »Wir waren wirklich glücklich«, sagte ich wieder und wieder; es klang nicht überzeugt, trotzig vielmehr, als glaubte ich selbst nicht so recht daran. Ja, wir waren glücklich, aber rückblickend betrachtet schien es mir plötzlich ein ängstliches, vorsichtiges Glück gewesen zu sein, ein Glück, das wir nie in seiner ganzen Fülle hatten ausschöpfen können, über dem stets ein

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