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Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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hatte er keine andere Wahl. Er rechnete auch damit, heute nacht nicht allein zu sein. Es ging ein leichter Wind aus West, der die Fetzen seines russischen Passes und des Führerscheins mit sich nahm und über die Felder wehte, sobald er wieder eine Seite in kleine Stücke zerrissen und wie Konfetti hinter sich in die Luft geworfen hatte. Er hatte einen langen, mühsamen Weg gewählt, aber Vuk hatte gelernt, daß der heutige Mensch, der sich mit Reisepaß und Kreditkarte, automatischer Fahrkartenregistrierung und computergesteuerter Reservierung über den Kontinent bewegte, ständig elektronische Spuren hinterließ. Sie zu verwischen bedurfte es besonderer Sorgfalt.
    Er roch den Fluß, noch ehe er ihn sah. Er überquerte das Feld und betrat ein Wäldchen. Dann vernahm er die Stimmen. Sie flüsterten, ihnen war offenbar nicht bewußt, daß ein Flüstern in der Nacht sehr laut klingen kann. Er sah auch die Glut einer Zigarette. Sie war weit entfernt, trotzdem schloß er rasch die Augen, um seine Nachtsicht zu bewahren. Die Stimmen waren rumänisch. Er hörte ein lautes Psst, und als er das eine Auge vorsichtig einen Spaltbreit öffnete, war die Zigarettenglut verschwunden. Eine Kinderstimme sagte irgend etwas und wimmerte dann. Wahrscheinlich hatte eine erwachsene Hand fest um einen Kinderarm gepackt. Vuk zog sich ein wenig von ihnen zurück, aber nicht weiter, als daß er jederzeit wieder Kontakt zu der Gruppe herstellen konnte. Sie waren zu unerfahren und zu ängstlich, um mucksmäuschenstill zu sein.
    Er kauerte sich hin, zog langsam und vorsichtig die Lederjacke aus und legte sie zusammen. Er streifte den schwarzen Rollkragenpullover über und steckte die Lederjacke in den Rucksack. Im Dunkeln trug er Tarnfarbe auf Gesicht und Hände auf. Das konnte er mit geschlossenen Augen. Es war ein wichtiger Teil im Spezialtraining des Kommandanten gewesen: Alles, was bei Tageslicht getan werden konnte, mußte ebenso sicher und schnell in völliger Dunkelheit ausgeführt werden können. Und hier war es nicht einmal völlig dunkel. Hin und wieder warf der Mond einen schwachen Schein über die einzeln stehenden Bäume und die ebenen Wiesen. Er roch das Wasser. Bald würden die Deutschen auf ihrer Seite Zäune bauen und Stacheldraht ziehen. Es war nur eine Frage der Zeit. Eine neue Mauer würde errichtet werden. Sie wäre nach Osten verschoben und würde die Leute nicht mehr einschließen, sondern ausschließen. Eine neue Wohlstandsmauer, dachte Vuk. Noch immer war die Welt aufgeteilt in die, die besitzen, und die, die nicht besitzen. Und wenn man etwas haben will, muß man es sich schon selber nehmen.
    Er legte sich hin und wartete. Vertrieb die Gedanken aus seinem Kopf und konzentrierte sich darauf, zu lauschen, zu riechen und seine Augen auf die Nacht einzustellen. Ein Vogel flatterte geräuschlos, stieß einen Meter neben ihm nieder und erhob sich mit einer kleinen Maus im Schnabel. Das Gras war feucht vom Tau, es war kühl, aber nicht kalt.
    Gegen Mitternacht, nach anderthalb Stunden des Wartens, während dessen er einer Eule bei ihrer erfolgreichen Jagd zugeschaut hatte, hörte er die Rumänen. Er zählte zehn Schatten: Sieben Erwachsene und drei halbwüchsige Kinder. Sie wurden von einem kräftigen, schwarzgekleideten Mann angeführt, der sie flüsternd zur Eile antrieb. Er war ihr Führer, dem sie ihr letztes vieles Geld gegeben hatten und der ihnen versichert hatte, er kenne den Rhythmus der deutschen Grenzpatrouillen. Die Gruppe ging nur zehn Meter von Vuk entfernt vorbei, sah ihn aber nicht. Vor den Behörden auf polnischer Seite hatten sie keine Angst. Die waren unterbesetzt und unterbezahlt, außerdem war es nicht mehr verboten, das freie Polen zu verlassen. Die Männer trugen jeder einen Koffer, und die drei Frauen hielten die Kinder an der einen Hand und hatten ein zusammengerolltes Bündel unter dem anderen Arm.
    Vuk ließ die Schar verschreckter Flüchtlinge passieren. Dann folgte er ihnen. Obwohl die Aufmerksamkeit der Rumänen nach vorn gerichtet war, setzte er die Füße mit dem Ballen zuerst auf, um lose Steine oder trockene Zweige sofort bemerken zu können. Seine Vorsicht zahlte sich aus.
    Plötzlich tauchte etwa fünfzig Meter vor ihm der seichte Fluß auf. Er sah, wie der Führer die Richtung wies und gleichzeitig zum Mond zeigte, der wieder zum Vorschein gekommen war. Dann zeigte er auf die Erde. Die Flüchtlinge kauerten sich zusammen. Der Führer drehte sich um und ging in Vuks Richtung zurück. Vuk

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