Der Fluch der bösen Tat
machte langsam, aber geschmeidig erst einen, dann zwei, dann drei Schritte nach links, hockte sich hin und legte sich schließlich auf den Bauch. Es sind die schnellen Bewegungen, die man im Dunkeln sieht. Der Führer hielt inne, als hätte er etwas gesehen. Oder gehört. Da strich die Eule wieder knapp über das Wiesengelände, stürzte nieder und flatterte auf. Die Maus piepste ein wenig, ein schwacher Ton, aber deutlich hörbar in der Nacht. Der Führer schüttelte den Kopf und ging mit raschen Schritten weiter. Vuk ließ ihn vorbeigehen und ging wieder in die Hocke. Er hörte, wie sich die Rumänen leise zankten.
Der Mond versteckte sich hinter einer Wolke. Sie war nicht groß genug, trotzdem stand einer der Männer auf und ging in den seichten Fluß hinaus, der nicht breiter war als eine gewöhnliche Landstraße. Die restlichen Männer folgten, dann die Frauen mit den Kindern an der Hand. Die Koffer und Bündel trugen sie auf dem Kopf. In der Mitte des Flusses reichte ihnen das Wasser bis zur Taille, während die Kinder den Kopf heben mußten, als ihnen das Wasser bis über die Brust stieg. Seltsamerweise weinten sie nicht. Vuk huschte ihnen langsam hinterher. Er nahm den Rucksack ab und ging wenige Meter vom Flußufer entfernt wieder in die Hocke. Er glitt hinter einen kleinen Busch. Er hörte den Hund bellen und machte die Augen zu, als er den tanzenden Lichtkegel bemerkte und das zischelnde Geräusch von Stiefeln im feuchten Gras hörte. Er legte sich auf den Bauch und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Er konnte hören, was passierte.
Die vier deutschen Grenzposten warteten geduldig, bis alle an Land waren. Sie hatten Decken dabei, die sie um die nassen, verängstigten und verfrorenen Rumänen schlangen. Der Hund saß artig auf seinen Hinterbeinen. Die Rumänen blinzelten in das grelle Licht der starken Stablampen. Der eine Grenzbeamte wies den Weg, und die Gruppe fing an, über das Feld zu gehen. Selbst mit geschlossenen Augen spürte Vuk den Lichtkegel, als der deutsche Grenzer die Taschenlampe über polnisches Gebiet gleiten ließ. Ein Funkgerät knisterte, er hörte die undeutliche Stimme des deutschen Grenzers, der eine Weisung erhielt und die Festnahme einer Gruppe meldete. Wieder schweifte der Lichtkegel über das schwarze Flußufer.
»Da sind keine mehr, Hans«, sagte die deutsche Stimme.
»Das war die Gruppe der heutigen Nacht. Komm jetzt! Wir müssen sie morgen wieder zurückschaffen.«
Vuk hörte, wie die Schritte langsam verhallten. Er wartete nur einen kurzen Moment, dann richtete er sich auf und ging schnell zum Ufer. Es gab Gerüchte, der Bundesgrenzschutz habe Sensoren installiert. Falls das zutraf, würden die Rumänen und die deutschen Posten sie jetzt gerade stören. Mit dem Rucksack auf dem Kopf watete er durch den Fluß wie eine Afrikanerin, die zum Brunnen ging. Das Wasser war kalt. Auf deutscher Seite schnallte er den Rucksack um und marschierte mit kräftigen Schritten in die Bundesrepublik Deutschland hinein.
Er war nur ein paar hundert Kilometer von Berlin entfernt. Er ging eine Stunde lang über die Felder, bis er an eine Landstraße gelangte, an der eine Tankstelle lag. Sie sah modern und neu aus. Die ehemalige DDR veränderte sich in Windeseile, stellte Vuk fest. Jedesmal wenn er herkam, gab es etwas Neues zu sehen. An der erleuchteten Tankstelle hielten vier, fünf Autos und viele LKW. Vuk hatte die Tarnfarbe so weit wie möglich vom Gesicht gewischt, aber er war sich nicht sicher, ob er alles entfernt hatte. Aber in den späten Nachtstunden sehen die Menschen sowieso seltsam aus. Vuk fand eine Toilette am Ende des Gebäudes und klatschte sich Wasser ins Gesicht und drückte den Schnurrbart fest. Besser ging es nicht, aber es würde schon reichen. Vuk wartete an einem Lastwagen mit polnischem Kennzeichen. Der Fahrer war klein und kompakt und unrasiert. Er kam aus dem Verkaufsraum.
Mit dem Rucksack in der Hand trat Vuk ins Licht und fragte mit breitem Lächeln auf deutsch: »Können Sie mich mitnehmen?«
Der Fahrer blieb stehen. Er sah einen unrasierten jungen Mann, der aber freundlich lächelte. Es war drei Uhr morgens, und der LKW-Fahrer mußte noch einige Stunden auf den Bock, ehe er sein Ziel erreicht hatte.
»Ich muß nach Berlin«, sagte er mit schwerem Akzent.
»Ich auch.«
»Mein Chef mag das nicht so gern.«
»Er muß ja nichts erfahren.«
»Ich weiß nicht recht.«
»Ich kann was zum Sprit dazugeben«, sagte Vuk und reichte ihm einen
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