Der Fluch der bösen Tat
herüber, und der Öresund glich einer Postkarte mit blauem Wasser, kunterbunten Segeln und ruhigen Fähren. Es roch einfach gut nach Meer und Sonne. Sie sah einen Kutter hinaustuckern. Das Achterdeck war voller Leute.
»Stop, Per!« rief sie.
Er stieg auch aus und blieb an der Tür stehen. Sie schnippte ihre Zigarette über die Kaimauer.
»Ja«, sagte er friedlich, »es gibt wirklich keinen Grund, sich über Kunst zu streiten.«
Sie ging um den Wagen herum und hakte sich bei ihm ein.
»Das meine ich nicht, Dummkopf. Ich hab nämlich eine Idee. Sie haben doch so einen Bammel vor der Pressekonferenz, nicht wahr?«
Per nickte. Sie zog heftig an seinem Arm, als wäre er ein Kind. Sie fühlte seine Muskeln. Der Arm war weich und straff zugleich. Ganz anders als Oles. Sie hatte ein warmes Gefühl in der Brust.
»Da!« sagte sie und zeigte auf die Hafenausfahrt und den Öresund.
»In Schweden?« sagte Per.
»Nein. Mitten im Wasser. Auf einer Insel.«
Toftlund schwieg kurz, schaute übers Wasser, sah sie an und dann wieder aufs Wasser.
»Alle Achtung!« sagte er. »Sie sind ein Teufelsweib. Das Flakfort! Leicht zu beschnüffeln. Leicht zu bewachen. Leicht abzusperren. Das ist absolut perfekt, chica. Verdammt tüchtiges Mädchen.«
Sie fühlte sich wie ein Schulmädel, das für einen guten Aufsatz gelobt wird. Das war eine gute Idee gewesen, und sie konnte nicht umhin, ausgelassen herumzuhüpfen und sich dann von ihm auffangen zu lassen, er drückte sie fest an sich und klopfte ihr sanft auf den Rücken, und ein Strom warmer Empfindungen durchlief sie vom Nacken über die Wirbelsäule bis zu den Füßen hinunter.
8
VUK TRÄUMTE in seinem Hotelzimmer in Berlin. Wie gewöhnlich fing der Traum gut an. Er sah seine Eltern weit weg auf einem grünen Hügel unter hellblauem Himmel. Sie winkten ihm zu. Das Licht war golden und vertrauenerweckend, aber es währte nicht lange. Dann änderte die Sonne ihren Charakter. Sie wurde feuerrot, obwohl sie hoch am Himmel stand. Sie ähnelte einer Kinderzeichnung mit einem angedeuteten Lächeln und langen Flammenstrichen. Aber in der sonnenroten Landschaft nisteten Gelächter und schwache Musik. Er war auch auf dem Bild und betrachtete es gleichzeitig von außen. Dann begann das tiefe Grollen in der Ferne, und er wußte, daß die Blutwalze auf dem Weg war. Das polternde Grummeln nahm zu, gleichzeitig füllte sich das Traumbild mit Menschen. Erst winkten sie, dann fingen sie an zu schreien. Lautlose Schreie. Er konnte nur seine Eltern hören. Sie riefen klagend nach seiner Schwester, aber er konnte sie nirgends sehen. Er wußte nur, daß sie sich irgendwo in der Menge befand. Gleich würde die Blutwalze erscheinen, und er wußte, daß er selber sie fahren würde. Er war drei Menschen zu gleicher Zeit. Drei Schatten in einer Landschaft aus Blut.
Vuk bemühte sich aufzuwachen, und diesmal gelang es, ehe die Blutwalze am Horizont auftauchte. Er saß aufrecht im Bett und zitterte und schwitzte. Das Laken war durchnäßt. Das Zimmer lag im Dunkel, die Möbel standen da wie Schatten, die sich bewegten. Er hatte den ganzen Tag geschlafen. Er machte Licht und holte sich zwei kleine Flaschen Wodka aus der Minibar. Den einen trank er direkt aus der Flasche, dann ging er ins Badezimmer, wo er den anderen in ein Zahnputzglas goß und ihn ebenfalls trank. Langsam bekam er seinen Atem unter Kontrolle. Er sah sich im Spiegel: ein junges, verschrecktes Gesicht mit zusammengekniffenen Augen. Der Traum suchte ihn immer öfter heim. Bei Bewußtsein konnte er sein Leben kontrollieren, aber im Schlaf wurde es schwerer und schwerer, die Dämonen fernzuhalten. Deshalb versuchte er, so wenig wie möglich zu schlafen. Er fürchtete den Schlaf, wie andere die Katastrophen des wachen Lebens fürchteten. Aber diesmal hatte der Körper das Bewußtsein besiegt. Er hatte die vielen Stunden Ruhe ganz einfach gebraucht. Er schmeckte den Schlaf in seinem Mund wie eine fettige Schicht. Sein Kopf war schwer, aber er merkte es seinem Körper an, daß er endlich ausgeruht war.
Vuk nahm ein Bad. Dann rief er Krawtschow an und erhielt den Namen eines Cafés in der Nähe des Alexanderplatzes. Er wollte gegen Mitternacht dort sein. Er steckte sein Armeemesser in seine Lederjacke und verließ das Hotel.
Vuk kaufte sich die aktuelle Herald Tribune und trank in einem Café hastig eine Tasse Kaffee und ein Glas Mineralwasser. Er überflog die Zeitung. In Bosnien lief es nicht gut. Eine Meldung auf der Rückseite
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