Der Fluch der bösen Tat
er.
»Sieht so aus, nicht?«
Er schwieg ein paar Sekunden.
»Gibt es einen anderen, Lise?« sagte er dann.
Sie versuchte zu lachen, aber es klang verkehrt.
»Nein. Weiß Gott nicht.«
»Du bist nicht sehr oft zu Hause. Auch nachts meistens nicht.«
»Lies die Zeitung. Dann weißt du, womit ich mich rumschlage.«
»Vielleicht solltest du auch ein bißchen Zeit in uns investieren.«
Sie drehte den Kopf weg.
»Oder, Lise?« sagte er.
»Das dauert ja nicht ewig«, sagte sie.
»Wie lange noch?«
Sie sah ihn wieder an. »Ich habe versprochen, nichts darüber zu erzählen. Per sagt…«
»Er sagt ’ne ganze Menge, dieser Per.«
»Ich bitte dich, Ole.«
»Komm und schlaf ein bißchen«, sagte er.
Er hatte recht, aber sie blieb noch ein wenig sitzen. Sie war wütend auf sich. Ole hatte ihr doch die Hand gereicht, warum ergriff sie sie nicht? Es gab ja keinen anderen, oder wußte sie, daß es bald jemanden geben könnte?
Als sie ein paar Stunden später in Per Toftlunds BMW saß, waren ihre schwarzen Gedanken wie weggeblasen. Es war nur eine Morgendepression gewesen, die etwas länger als gewöhnlich gedauert hatte. Konnte man niedergeschlagen sein, wenn die Sonne wieder schien und die Leute auf der Langen Linie flanierten und Eis aßen und die Japaner die unansehnliche kleine Meerjungfrau filmten, daß es eine Lust war? Sie hörten das dritte Programm im Autoradio, einen schönen, sentimentalen Schlager. Toftlund summte mit, im übrigen ging es ihm wie ihr. Das Radio lief, weil es einfach angenehm war. Er wirkte ruhig und zufrieden wie immer. Als ob die Welt noch jung und frisch wäre und es herrlich wäre, den neuen Tag zu beginnen.
»Sind Sie immer so guter Laune?« fragte sie.
»Normalerweise schon. Ich habe mich über nichts zu beklagen.«
»Manche würden sagen, es sei ein Zeichen mangelnder Intelligenz. Das Leben sei nicht so gut. Es sei eigentlich ziemlich gräßlich. Nur Menschen ohne Phantasie könnten leben, ohne deprimiert zu sein.«
»Ich bin klüger als die meisten, und ich habe einen Job, den ich mag«, sagte er ohne Ironie. Er war selten ironisch. Sie war im täglichen Leben von Medienleuten umgeben, die die Ironie wie eine mittelalterliche Rüstung trugen.
Sie hatte keine Lust, Kontra zu geben. Der Tag war zu schön.
»Finden Sie Ihren Job wirklich gut?« fragte sie nur.
»Er ist hervorragend.«
Eigentlich fuhren sie ohne Ziel und Zweck. Sie mußten noch ein paar Wohnungen anschauen, die ihr zur Verfügung gestellt worden waren. Sie mußten auch ein Hotel checken. Oder beschnüffeln, wie Per sagte. Aber er war nicht so sehr für öffentliche Hotels. Es war zu leicht, in ihnen aus und ein zu gehen. Er bevorzugte eine diskrete Privatwohnung. Aber keine war ihm gut genug. Er hatte immer etwas auszusetzen. Mal gab es keinen Hinterausgang. Mal gab es dann gerade einen Hinterausgang, der die Bewachung erschwerte. Mal war die Wohnung schwer zu erreichen. Mal war sie zu gut zu erreichen. Sie hatte es aufgegeben, seine Ansprüche an eine geeignete Wohnung zu verstehen.
Er fuhr langsam am Kai entlang und hielt an.
»Sie können ruhig rauchen, wenn Sie das Fenster runterkurbeln«, sagte er.
»Heute ist man aber tolerant«, sagte sie und zündete dankbar eine Zigarette an und blies den Rauch aus dem offenen Fenster.
»Und was ist mit Ihrer Arbeit?« sagte er.
»Die ist okay.«
»So im Leben der Leute herumschnüffeln, nur damit andere Leute unterhalten werden.«
Sie konnte es nicht verbergen, daß sie ein bißchen beleidigt war.
»Ich bin Kulturjournalistin!« Kaum hatte sie es gesagt, bereute sie es schon. Es klang übertrieben, aber Per sagte bloß: »Noch schlimmer. Aufgeblasene alberne Künstler mit den Pfoten in der Staatskasse.«
»Erlauben Sie mal …«
»Die den ganzen Tag greinen, weil kein Schwein ihre grottenschlechten Bücher lesen oder ihre Mistfilme sehen will.«
»Meine Vermutung mangelnder Intelligenz vorhin war anscheinend doch nicht so daneben.« Sie wurde richtig wütend. Derlei billige Behauptungen konnte sie nicht ausstehen. Dummheit und Unwissenheit fand sie ärgerlich und kleinlich. Dänemark war ein reiches Land mit einem guten Bildungssystem. Es gab keine Entschuldigung dafür, unwissend zu sein. Und die vielen Kulturangebote nicht zu nutzen. Ihrer Meinung nach war Kultur etwas bedingungslos Gutes.
»Clint Eastwood braucht jedenfalls keine finanzielle Unterstützung.«
Lise machte demonstrativ die Tür auf und stieg aus. Es wehte mild und kühl von Schweden
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