Der Fluch der bösen Tat
offenstehendes kurzärmliges Hemd. Langsam gewöhnte sie sich an die Pistole im Gürtel, aber sie machte sie immer noch ein wenig nervös. Noch nie war sie stundenlang mit einem Mann zusammen gewesen, der eine Pistole trug, als wäre es das Selbstverständlichste auf Erden. Sie wußte nichts über seine Welt.
»Vom Reisen.«
»Das wär nicht schlecht. Wohin geht die Fahrt?«
»Spanien«, sagte sie und biß ein Stück Wurst ab. »Mhm … es ist so unappetitlich – schön.«
» España sea muy buena « , sagte er.
Sie kaute. Sie waren offenbar dabei, einander näherzukommen. So auf einer Bank sitzen und Hotdog essen und mit vollem Mund sprechen. Das tat man nur, wenn man sich wohl fühlte, dachte sie.
»Wo haben Sie Spanisch gelernt?« fragte sie.
»In Südamerika. Ich bin da durchgetrampt, nach dem Militär, da hab ich gut verdient. Auf der Abendschule. Und in Spanien.«
Toftlund kaute auch.
»Macho«, sagte sie ohne Verachtung. »Wahrscheinlich waren Sie Fallschirmjäger oder sowas Verrücktes.«
»Kampftaucher. Sonst stimmt es schon.«
»So, so. Wie der Kronprinz. Wie vornehm.«
»Ich war’s zuerst. Und was ist mit Ihnen? Und Spanien, meine ich?«
»Spanisch gelernt? In Spanien. Vor einer Ewigkeit.«
»Schönes Land, nicht wahr?«
Er stand auf und machte ein paar leichte Tanzschritte vor ihr. Es sah ein bißchen schwerfällig aus, einige Passanten starrten ihn an. Ein großer Mann, der sich eigentlich trotzdem ziemlich elegant wie ein Stierkämpfer in Positur stellte und den schwarzen Stier mit einem imaginären roten Tuch an sich vorbeiziehen ließ. Das hätte wirklich Eindruck gemacht, wenn er nicht ein angebissenes Hotdog in der Hand gehalten hätte. Erst zog er den Stier rechts herum, dann links herum, und er deklamierte dabei. Ein großer Schauspieler war er nicht: » Andalucia. Estremadura. Euskadi. Madrid. Valencia. Sol y sombra. Toros. Vino. Señoritas. Olé. «
Sie lachte über seine Clownerien und verschluckte sich an ihrer Wurst. Er setzte sich und klopfte ihr vorsichtig auf den Rücken.
»Fahren Sie oft hin?« fragte sie, als sie wieder Luft bekam.
»Mindestens einmal im Jahr. Und Sie?«
»Ist schon ein paar Jährchen her.«
Er sah sie an. Er hatte freundliche blaue Augen.
»Ole hat keine Lust mehr auf Spanien«, hatte sie gesagt. Vermutlich hatte sich ein wenig mehr Melancholie in ihre Stimme geschlichen, als sie beabsichtigt hatte. Aber Per hatte es völlig richtig aufgenommen. Er hatte eine saubere Serviette aus seiner Jackentasche gezogen und behutsam ihren Mund abgetupft und ihr den kleinen roten Fleck gezeigt.
»Ketchup«, hatte er gesagt, und dann hatte sie wieder zu lachen angefangen.
Sie war gestreßt. Das mußte die Erklärung sein, dachte sie an dem blank gescheuerten Küchentisch. Daß sie sich wie ein kicherndes Schulmädchen aufführen konnte.
Es war nichts weiter dazu zu sagen, daß sie müde und gestreßt war. In der letzten Woche war sie praktisch nicht zu Hause gewesen. Man durfte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn auch noch Kinder da wären. Wenn sie welche hätten bekommen können. Wie hätten sie und Ole die in ihrem mit Arbeit vollgepfropften Leben unterbringen sollen? Das war zumindest die positive Seite ihrer Kinderlosigkeit. Daß sie unabhängig waren. Und doch tat es wie gewöhnlich weh, daran zu denken und die Leere in sich zu spüren. Die Sehnsucht wie einen Hohlraum, der nicht gefüllt werden konnte. Vielleicht hätte es ihnen doch noch etwas anderes geben können, einen Sinn, der sie miteinander verband. Und genau darüber hatten sie ja gesprochen. Sie hatten es zusammen durchgekaut und waren sich einig gewesen, daß es die perverse Logik der Natur war, daß sie nicht schwanger wurde und daß sie es nicht auf künstlichem Wege versuchen wollten. Zur Adoption hatten sie keine Lust. Sie hatten einander, das mußte reichen. Das hatten sie sich damals gesagt. Warum tat es dann immer noch so weh?
Sie spürte Ole mehr, als daß sie ihn hörte, wie er in der Küchentür stand. Sie drehte sich um. Sein Haar war zerzaust, und sie bemerkte, daß seine Brusthaare langsam grau wurden. Er sah richtig ein bißchen alt aus im frühen Tageslicht. Das hatte sie noch nie zuvor über ihn gedacht. Er tat ihr ein wenig leid, sie bekam eine Art Mitgefühl, das sofort in Selbstverachtung umschlug. Warum konnte sie ihn nicht einfach lieben wie früher?
Er stand in der Türöffnung und lehnte sich gegen den Rahmen.
»Kannst du nicht schlafen?« sagte
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