Der Fluch der bösen Tat
dem Café. Er zog den Reißverschluß seiner Jacke hoch und wartete.
Es war fast Mitternacht, als Krawtschow kam. Er war in Begleitung eines schlanken, aber kleinen, schwarzhaarigen Mannes. In ihren blauen Anzügen und blauen Mänteln sahen sie beide wie Geschäftsleute aus. Krawtschow ließ dem Iraner den Vortritt. Vuk blieb stehen. Er wartete eine Viertelstunde, aber es kam niemand mehr. Dann ging er die Straße hinauf und auf dem anderen Bürgersteig wieder hinunter. Ihm begegneten nur ein paar Nachtschwärmer. Die beiden Männer waren allein gekommen.
Das Lokal war größer, als Vuk erwartet hatte. Es erstreckte sich weit in das Haus hinein. Die Ausstattung war einfach, eine Theke, eine Reihe brauner Tische und Stühle. Eine Handvoll Gäste saß bei Bier und Schnaps. Einige warfen ihm einen Blick zu und wandten sich dann wieder ihrem Bier und ihrem Gespräch zu. Vuk mußte wegen des Qualms, der das blaue Licht in den dunklen Räumen verschleierte, die Augen zusammenkneifen. Der Russe und der Iraner saßen allein an einem Tisch in der hintersten Ecke. Krawtschow hatte sich so hingesetzt, daß er die Tür im Auge behalten konnte, während der Iraner ihr den Rücken zukehrte. Er hatte kurzes schwarzes Haar, das mit Gel gestriegelt war. Krawtschow hatte ein fast ausgetrunkenes Bier vor sich. Der Iraner trank offenbar Kaffee. Neben der Kanne standen noch zwei weitere Tassen auf dem Tisch.
Als Krawtschow Vuk entdeckte, hob er ein wenig die Hand. Lautlos ging Vuk in seinen Joggingschuhen zu ihrem Tisch. Der Iraner wandte ihm den Kopf zu. Vuk merkte, daß er über sein jugendliches Aussehen überrascht war. Er hatte einen erfahreneren Mann erwartet. Als hätte Erfahrung nur mit dem biologischen Alter zu tun. Ebenso sehr kam es auf das Leben an, das man führte. Vuk hatte in vier Jahren mehr gelernt, als die meisten in einem ganzen Leben lernen konnten. Und er hatte überlebt. Vuk setzte sich ans Tischende, so daß er die Wand im Rücken, Krawtschow zur Rechten und den Iraner zur Linken hatte.
Krawtschow lächelte. Seine Augen lächelten nicht mit. Der Iraner betrachtete Vuk aufmerksam. Er hatte schwarze, dicht beieinander sitzende Augen. Er spielte mit seinem Löffel.
»Kaffee?« fragte er auf englisch.
Vuk nickte.
Der Iraner ergriff die Kanne und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein.
»Vuk, darf ich vorstellen: Mr. Rezi. Mr. Rezi: Das ist Vuk.«
Vuk nickte noch einmal und hob seine Tasse. Seine Hand war ruhig.
Krawtschow zuckte die Schultern und sagte: »Okay. Mr. Rezi ist autorisiert, im Namen seiner Regierung zu sprechen.«
»Dann laß ihn reden«, sagte Vuk ironisch. Der Iraner betrachtete ihn, und Vuk betrachtete den Iraner. Krawtschow spürte die Frostigkeit zwischen ihnen. Damit hatte er gerechnet. In diesen Zeiten einen Serben und einen Muslim an einen Tisch zu setzen, war vielleicht nicht unbedingt das Cleverste, aber Krawtschow hatte in seinem langen Leben gelernt, daß sich bei Geschäften am Ende die unterschiedlichsten Leute einig werden. Auch wenn Rezi sicher wußte, daß Vuk in Bosnien seine Landsleute gejagt und getötet hatte. Aber das hier war Geschäft. Die früheren Feinde hatten jetzt ein gemeinsames Interesse. Hier gab es keinen Platz für Ideologie und Idealismus.
Auch Rezi hob seine Tasse, trank einen Schluck und stellte sie lautlos auf die Untertasse zurück. Er steckte sich eine Zigarette an und beugte sich über den Tisch. Er sprach leise. Sein Englisch war schön. Wie sie beim BBC reden, dachte Vuk. Er war um die Vierzig, wirkte gebildet und kultiviert, aber Vuk wußte, daß Rezi genauso ungerührt töten würde, wie er Kaffee trank. Ob er nun selbst auf den Abzug drückte oder einen anderen schickte. Die iranische Geheimpolizei kannte kein Mitleid mit ihren Gegnern.
»Wir wollen den Tod dieser ungläubigen Hure«, sagte er mit trockener, ruhiger Stimme. »Wir sind bereit, Ihnen und der Organisation von Mr. Krawtschow vier Millionen Dollar für den Job zu bezahlen. Der Vertrag gilt sechs Monate.«
Vuk beugte sich ebenfalls über den Tisch.
»Ich töte nicht für Geld«, sagte er.
»Das verstehe ich. Sie können das Geld verwenden, wofür Sie wollen.«
Vuk wartete wieder. Er nahm noch einen Schluck Kaffee. Er war lauwarm. Im Lokal herrschte ein angenehm gedämpftes Stimmengewirr. Der Wirt hatte den Fernseher eingeschaltet und verfolgte ein Fußballspiel. Vuk schaute Rezi an, als dieser fortfuhr: »Offiziell schickt der Iran keine Killergruppen aus. Das würde sich im
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