Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
Papierfetzen und Essensreste flogen herum, und viele hatten ein Sandwich in der Hand. Keiner beachtete ihn. Er war ein wenig besorgt gewesen, ob er sich noch immer dem besonderen Rhythmus der Stadt anpassen konnte, aber ihm war, als wäre er erst gestern hier entlanggegangen. Er verschmolz mit der Menge und konnte rasch die Fremden erkennen, seien es amerikanische Geschäftsleute oder schwedische Touristen.
    Aber der Kultorvet-Platz war eine Überraschung. Das große Gebäude stand noch, aber wo war die Bibliothek? Die Buchhandlung war da, aber die Hauptbibliothek mit dem Zeitungslesesaal war weg. Zwei junge Mädchen rempelten ihn versehentlich an, als er einen Moment unaufmerksam war.
    »Entschuldigung«, sagte die eine, als sie sein Gesicht sah, eine eiskalte Maske. Er war überraschende und unerwartete Berührungen nicht gewohnt. Der Krieg saß ihm im Körper und ließ ihn sofort an einen Feind denken, aber er riß sich gleich zusammen, und ein gewinnendes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, so daß sie auch lächeln mußten.
    »Ich hab geschlafen«, sagte er.
    »Wir hätten besser aufpassen müssen.«
    »Ich wollte in die Bibliothek …«
    »Dann mußt du in die Krystalgade«, sagten sie wie aus einem Munde und lachten.
    »Ach ja, natürlich. Aber wißt ihr … die Macht der Gewohnheit …«
    »Ja, ist aber auch komisch, daß sie alles so hin und her schieben, nicht?« sagten sie und lachten wieder.
    »Danke.«
    »Keine Ursache.«
    Sie hakten sich unter und zogen weiter.
    »Hab noch einen guten Tag«, riefen sie ihm nach.
    Den Ausdruck mußte er sich merken. Den benutzten offenbar alle.
    Er setzte sich in den Lesesaal der neuen Hauptbibliothek. Er bat um die Politiken des letzten Monats und begann seine systematische Lektüre, während der Nachmittag in den Abend überging. Er fand den Artikel über Sara Santanda, schaute sich ihr Foto an und das von Lise Carlsen. In der Bildunterschrift stand, daß die Politiken -Mitarbeiterin und Vorsitzende des dänischen PEN, Lise Carlsen, die Gastgeberin sei und das Programm des Besuchs bis auf weiteres geheimgehalten werde. Es werde auch noch ein Geheimnis bleiben, wann die zum Tode verurteilte Autorin nach Dänemark komme. Aber Politiken gehe davon aus, daß der Besuch trotz der unbesonnenen undichten Stelle stattfinden werde. Er schaute sich das Foto von Lise noch einmal an und sah eine schöne junge Frau, die leicht in die Kamera lächelte.
    Vuk verließ mit seiner Tragetasche den Lesesaal und ging zu einer Telefonzelle, die aber keine Münzen annehmen wollte. Da stand, man müsse eine Telefonkarte benutzen. Was war denn das schon wieder? Er ging weiter. In der nächsten Zelle konnte er seine Münzen benutzen. Er rief die Auskunft an und erhielt Lise Carlsens Nummer und ihre Adresse in Østerbro. Er ging in die unterirdische S-Bahn-Station Nørreport, kaufte sich eine Telefonkarte und eine Sammelkarte der Verkehrsbetriebe und studierte die Busverbindungen.
    Die Wohnung lag im dritten Stock. Über der Sprechanlage stand im dritten Stock: Ole Carlsen und Lise Carlsen. Gegenüber lag ein Wirtshaus wie aus alten Tagen, das noch nicht in ein Café oder eine Snackbar umgemodelt worden war. Draußen standen Tische und Stühle, obwohl das Wetter irgendwo zwischen Spätsommer und Herbst lag, aber der Bürgersteig hatte nachmittags noch Sonne. Vuk stellte seine Tragetasche ab und setzte sich. Er bestellte ein Bier vom Faß und zündete sich eine Zigarette an, während er durch seine dunkle Sonnenbrille das Haus gegenüber betrachtete. Es war groß und gepflegt und hatte neue Fenster. Nach und nach kamen die Bewohner nach Hause. Vuk betrachtete die Szenerie nicht mit Neid, aber mit einer gewissen Nostalgie. Er sah gern dem Alltag anderer Menschen zu. Es war angenehm, die Dänen mit ihren Einkaufstüten von Irma oder Super Brugsen nach Hause kommen zu sehen. Das würde nie sein Leben werden, aber sich darüber den Kopf zu zerbrechen war Zeitverschwendung. Obwohl er natürlich ab und zu ins Spekulieren geriet, was geschehen wäre, wenn er nicht zurückgekehrt, sondern in diesem friedlichen kleinen Land geblieben wäre. Er trank sein Bier und dachte an seine Eltern und seine Schwester und an Emma, verdrängte die Gedanken aber. Wenn er ihnen nicht Einhalt gebot, würde die Blutwalze heute nacht wieder rollen, und das war unerträglich. Ein Auto hielt am Bordstein, und ein Mann Mitte Vierzig stieg aus. Er sah müde und verbissen aus. Er schloß die Autotür ab und ging mit dem

Weitere Kostenlose Bücher