Der Fluch der bösen Tat
Liebhaber zugelegt oder sich auf einen Verehrer eingelassen oder daß sie eben eine Affäre hatte. Egal, wie sie es nannte, es verursachte ein warmes Gefühl in ihrem Körper und die Lust, ständig mit Per zusammenzusein. Aber es hatte sie so wütend gemacht, als ihr klar wurde, daß Ole wieder einmal in diese Dreckskneipe gerannt war, die nach alten Zigarren und abgestandenem Bier stank. Wenn er wenigstens in einem Café oder einer ordentlichen Bar saufen ginge. Er wußte doch, daß sie Kneipen haßte. Die Vorstellung war ihr unerträglich, daß er mit diesen Dumpfbacken da unten zusammenhockte und mit ihnen womöglich über die Alte zu Hause quatschte, also auch über sie. Und sie war davon überzeugt, daß Männer das in solchen Kneipen taten. Volkstümlichkeit wurde heutzutage vollkommen überschätzt. Sie setzte sich für Hochkultur und gebildete, zivilisierte Menschen ein. Sie verabscheute Festhallen, Bingo und altfränkische Bierstuben mit Billard und dem Gestank von Männermief. Er wußte, daß es sie ärgerte, wenn er dorthin ging, genauso wie sie wußte, daß es ihn ärgerte, wenn sie morgens das Radio anschaltete. Warum konnten sie plötzlich nicht mehr miteinander reden, verflucht noch mal? Warum versuchten sie, sich gegenseitig weh zu tun? Warum starb die Liebe?
Bei den Seen stieg sie vom Rad und schob und murmelte halblaut vor sich hin: »Wo kommen wir her? Wer sind wir? Wo stehen wir? Wo gehen wir hin, und wo sollen wir die leeren Flaschen abstellen?«
Dann lachte sie über sich selbst. Eine ältere Dame mit einem kleinen dicken, schwarzgefleckten Hund sah sie erstaunt an. Sie sah sauer aus, und Lise konnte es nicht lassen, ihr die Zunge rauszustecken, gleichzeitig schwang sie sich auf den Sattel wie ein Mann und peste den Weg hinunter, daß der Kies spritzte. Teufel, war sie kindisch! Aber sie war es nicht gewohnt, mit einer Situation wie der ihren zurechtzukommen.
Sie fuhr nach Hause. Ole war noch nicht da. Wahrscheinlich blieb er jetzt den ganzen Abend dort. Und knobelte und sprach über Fußball oder Politik mit minderbemittelten Mannsleuten, die verlassen, weggejagt oder einsam waren oder alles auf einmal. Und sie hatte endlich einen freien Abend. Sie könnten miteinander reden. Ein ordentliches Gespräch führen. Sie hatte sich von der Zeitung, von Sara und von Per freigenommen. Mit Absicht, weil sie merkte, daß sie ihre Gefühle nicht ganz so unter Kontrolle hatte, wie sie es sich wünschte. Außerdem konnte Per heute abend sowieso nicht. Er hatte nicht gesagt, was er vorhatte, und es ging sie ja im Grunde auch nichts an. Aber es ärgerte sie trotzdem. Sie sollte sich etwas kochen. Jetzt war sie schon wieder aufgebracht, und das machte sie natürlich hungrig. Statt dessen setzte sie Teewasser auf und hatte sich gerade einen Becher vollgeschenkt, als sie die Wohnungstür hörte und Ole mit leicht geröteten Augen, aber im übrigen ebenso ruhig und fern wie sonst, in die Wohnküche kam.
»Hallo, Schatz! Wo warst du? Hast du schon gegessen?« fragte sie und verachtete sich selbst, weil sie hören konnte, wie künstlich es klang.
»Hej«, sagte er nur und blieb stehen und schaute sie an, was sie verwirrte. Sie stand auf und ging zur Spüle. Obwohl sie Tee in ihrem Becher hatte, holte sie sich noch ein Glas Wasser, bloß um irgend etwas mit ihren Händen zu tun. Sie spürte Oles Blick auf ihrem Rücken und nahm sich zusammen und drehte sich um. Plötzlich empfand sie die gemütliche Küche als stickig und beklemmend. Als wäre von draußen die Dunkelheit hereingekommen und drosselte das Licht.
»Was ist los? Was glotzt du mich so an?« sagte sie gereizt.
Ole sah sie nur forschend an. Sie fühlte sich wie eine seiner neurotischen reichen Patientinnen. Oder Klientinnen, wie er sie beharrlich nannte. Die Anzahl der Psychologen hatte sich in den letzten zwanzig Jahren verzwanzigfacht, man sollte also eigentlich denken, daß es viele waren, die sich den Kuchen teilen mußten, aber Ole hatte noch nie soviel verdient wie jetzt. Den Dänen mußte es seelisch beschissen gehen, und offenbar hatten sie keinen, mit dem sie darüber reden konnten. Sie ließ ihre Gedanken immer weiter schweifen, weil sie seinen untersuchenden Blick nicht aushielt. Sie zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Ole! Was gibt’s?«
»Ich wollte nur sehen, ob man einen physischen Unterschied diagnostizieren kann. Aber das kann man offenbar nicht. Oder doch?«
Seine Zunge war doch ein wenig schwer. Sie hörte Bier und
Weitere Kostenlose Bücher